Das Kind erfährt die Sprache der Erwachsenen-Realität die keineswegs immer logisch ist, und wir stellen fest: Wir haben uns dran gewöhnt, dass wir nicht mehr hinterfragen. Ohnehin ist „Alice“ kein Kinderbuch, und die Einordnung „Nonsensliteratur“ können wohl nur Literaturwissenschaftler nachvollziehen.
Die Surrealisten oder auch Oscar Wilde haben „Alice …“ gelesen, aber auch der bissig-kritische Kenner der englischen Literatur Arno Schmidt zu seiner Zeit. Lewis Caroll ist nicht nur der Autor einer netten Geschichte. Alice hinter den Spiegeln wirft physikalische Fragen auf, spannend nicht nur für die damalige Zeit. Wenn Alice durch den Spiegel schreitet und den von der andren Seite betrachtet – ist dann Rechts auch Rechts oder Links … ? Kehrt sich die Welt um ? Inzwischen wissen wir, dass es rechtsdrehende und linksdrehend Moleküle gibt, die beispielsweise bei Sars Cov 2 , bei Corona-Infektionen, eine Rolle spielen.
Alice/ Lou Strenger steht vor dem Vorhang, der einen Ebene des Textes, und die Silhouette des Tee-Tisches ist klein. Doch schwups, zu den Reflektionen des Kindes wird der Schatten-Tisch groß, und Alice /Lou Strenger scheint klein …
Die kleine Alice, die in der Realität Alice Liddell hieß, trifft ja auf das weiße Kaninchen (Kilian Ponert), dem es folgt, und das zu ihr sagt: Ich lasse die Wirklichkeit langsam verblassen. Lasset die Phantasie beginnen …
Die Diskussion um eventuelle pädophile Neigungen des Autors, der entsprechend der viktorianischen Zeit auch Photos von Kindern veröffentlichte, blendet auch das Schauspielhaus nicht aus, Dramaturgin Janine Ortiz geht darauf in einem intelligenten Text im Programmheft ein.
Aber nun weg von Physik, Chemie und Geschichte der Literatur – Lou Strenger als Alice zeigt, wie phantastisch die Ensemblemitglieder des Schauspielhausees singen können. Judith Bohle gibt eine wundervolle Grinsekatze, Claudia Hübbecker die verrückte „Kopf-ab“-Königin, und Thomas Wittmann zeigt als Humpty-Dumpty auch, wie toll die Kostüme von Jenny Theisen sind. Nicht zuletzt brilliert Regisseur André Kaczmarczyk als Hutmacher und geradezu weise Schildkröte.
Ein großes Lob gebührt Matts Johan Leenders und seinen Kompositionen, und den vier Musiker*innen.
Großer Jubel und stehende Ovationen.
Alice war bis Anfang Dezember ausverkauft – nun ist wegen Corona erst mal für 4 Wochen Pause.
Das Schauspielhaus, in dem selbst im großen Haus nur 180 Plätze frei gehalten wurden, und in dem einige hundert Menschen vor und hinter den Kulissen arbeiten, hat wie viele Kultureinrichtungen sehr viel getan, um in Corona-Zeiten ziemlich sichere Aufführungen zu ermöglichen.
Theater reflektiert gesellschaftliche Verhältnisse, sagte Intendant Wilfried Schulz vor der Aufführung, und es ist nun eine bedrohliche Situation. „Wir können alle nur gut aufeinander aufpassen“, so Schulz.
Aber es wird weitergehen, es wird weiter geprobt, und im Dezember soll es weitere Aufführungen geben – soweit es die Zahlen rund um Corona zulassen.
(Autor Jo Achim Geschke)
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