Im fiktiven Publikumsgespräch, bevor sich der richtige Vorhang hebt, zeigt sich bereits die Distanzierung, das Reflektieren der eigenen Rolle inmitten der Nachrichten von Tod und Unglück. Ophelia/ Iryna Tkachenko zieht sich das blutige Pflaster von der Stirn, es ist keine Wunde darunter, war nur Bühne. Ach, sie haben die Vorstellung gar nicht gesehen? fragt Hamlet/ Oleksandr. Es gab keine Vorstellung.
Vielleicht schlafen wir ja alle, haben einen Traum, sagt Ophelia/ Iryna Tkachenko. Träumen nur das Schreckliche, den Krieg. Schlafen, Träumen – der Monolog Hamlets.
Oleksandr will sich vergewissern, „nehmen wir den zweiten Monolog Hamlets“, sagt er, „den kennt jeder ….“
Er beginnt zu zitieren, doch schon sagt er etwas anderes. Der Text zerfasert, die Jamben sind fort, es ist Krieg, da ist eher „Nicht Sein“. Aber das geht doch ganz anders, sagen die anderen.
Kein normaler Hamlet
Der Monolog Hamlets, dieses „Sein oder Nicht-Sein“, wird sprachlich zerlegt, verändert, denn Hamlet, das Sein kann nicht mehr normal sein mit dem Beginn des Angriffskriegs. Auch die anderen Mitspieler: innen, wie der König, die Königin / Getrude, versuchen es, doch das Unfassbare, der Krieg, gewinnt mit der Zerstörung auch der Sprache Shakespeares Oberhand.
In Englisch wird es noch deutlicher / Heftiger, dieses:
“Or to take arms against a sea of troubles,/ And by opposing, end them? To die: to sleep,…” …. Das kann man auch mit bewaffnen übersetzen, und “opposing” dann mit Widerstand.
In der Videoeinblendung ein ukrainischer Soldat, dicke Jacke, Mütze - ein Kollege.
“Ich bin doch an der Front, im Krieg”, sagt er den Kolleg:innen auf der Bühne, “13 Leute aus den Theatern kämpfen. “
Wir sind am 22. nicht aufgewacht, hofft eine Mimin.
Sie singen ein Ukrainisches Volkslied vom Kukuck, Oleh Stefan spielt ein Stück auf dem Akkordeon, ohne Instrument, sie tanzen einen Reigen und dazu tönt die Stimme: Pasha, starb mit 33, ein Opernsänger, gefallen, einer in Mariopol …
Spielen, um Unbeugsamkeit zu zeigen
Den fünf Schauspieler:innen des Left Bank Theaters in Kyjiw / Kiew zeigen in diesem Stück von Tamara Trunova die Zerstörung und Rekonstruktion von Sprache, von Theater im Angesicht des brutalen Kriegs, des Überfalls auf die Ukraine. Ich kriege meine Angst nicht in den Griff, sagt der eine,
„Wir müssen spielen, um zu zeigen, dass wir unbeugsam sind“, sagt Maryna Klimova.
Sie stehen in einem Wald aus blutroten Tannen und sinnieren über eine Gespensterschrecke, die sich selbst zeugen kann, über Hamlet, wie man ihn darstellen kann, jetzt.
Überragende Schauspieler:innen
Die fünf überragenden Schauspieler:innen des Left Bank Theaters bleiben ihrem Ruf gerecht, wenn sie vor Bildern aus Breughels Horrorkabinetten mal lyrisch die Sanftheit pflegen und dann wieder, wie etwa Maryna Klimova, mit sprachlicher Wucht alles bis in die letzte Reihe auseinander reißen.
Im Saal viele Ukrainer:innen, die Schauspieler:innen sprechen Ukranisch, die Übersetzung der Texte erscheinen als Übertitel oben auf der Bühne. Aber auch in der Originalsprache schaffen sie es, die deutschen Zuschauer aufzurütteln und zutiefst zu berühren.
„Es sollen andere Tage kommen“, sagt hoffend eine Stimme auf der Bühne.
Standing Ovations für eine großartige Inszenierung und großartige Schauspielerinnen des Left Bank Theaters in Kyjiw / Kiew.
Eine Koproduktion von Left Bank Theater (Kijiw) und dem Deutschen Theater Berlin — Partner: Hotel Continental – Art Space in Exile (Berlin). Von Tamara Trunova — Left Bank Theatre, Kyjiw, Ukraine Auf Ukrainisch mit deutschen und englischen Übertiteln am 14. April um 19 Uhr Schauspielhaus, Kleines Haus Im rahmen des Europäischen Theaterfestivals mit Fokus Ukraine bis 17. April.
Infos unter