Der gute Mensch von Sezuan im Schauspielhaus Düsseldorf

Der gute Mensch von Sezuan mit Minna Wündrich als großartiges Brecht-Theater

Von Jo Achim Geschke |

Der gute Menscch von Sezuan Foto D Haus

Der gute Mensch von Sezuan mit Jonas Friedrich Leonhardi, Sebastian Tessenow, Minna Wündrich / Foto © Sandra Then , D Haus

Die Stehlampen scheinen wohl die Entstehung des Werks gesehen haben, schon ihr Anblick schafft die Distanz, die Brecht im Theater wollte und die nun Regisseurin Sonnenbichler gekonnt am Schauspielhaus inszeniert: Alle Darsteller:innen sitzen jederzeit sichtbar rund um das bewegliche Bühnen-Viereck (Bühnenbild David Hohmann), und dann beginnt ein phantastischer Brecht-Theater-Abend mit einer zu Recht lange bejubelten Minna Wündrich als Shen Te und Shui Ta.

Minna Wündrich ist überzeugend die liebe, aber naive Shen Te, auch zurückhaltend kraftvoll, aber geradezu explosiv, wenn sie sich etwa mit dem ex-Flieger Yang Sun erst prügelt und dann doch küsst. Wündrich ist als Shen Te/ Shui Ta ein Theater-Erlebnis.

Sie sorgt sich um den Wasserträger (hervorragend Sebastian Tessenow), der ja als erster die „Götter“ entdeckt und sie zu Shen Te bringt, dem guten Menschen von Sezuan, denn sie bietet als einzige Unterschlupf für die Götter.

Anklänge an japanisches Theater

Diese Götter sind ein ausgezeichnete Mischung aus bürokratischen Oberen und weltfremden Wesen. Ein Erlebnis sind allerdings die überlebensgroßen Masken-Köpfe, die eindeutig Anlehnungen aus dem japanischen Theater sind. Auch die Bewegungen der Akteur:innen sind aus dieser Tradition entlehnt, etwa wenn sie mit übertriebenem Stampfen und breitbeinig daherschreiten. Das ist sicherlich Ergebnis der Choreographie von Tadashi Endo, einem in Göttingen lebenden japanischen Butoh-Meister. Butoh ist ein japanisches Tanz-Theater.

Berührend die Szene, in der die Hände aus den Mündern der Götter-Köpfe herauskommen und über die schlafende Shen Te wachen.

Episches Theater

Regisseurin Sonnenbichler inszeniert ganz im Sinne brechtscher Verfremdung. So unterbrechen Lieder die Szenen, aber die Akteur:innen singen sie verfremdet, also unter ihren Fähigkeiten. Die Kostüme sind passgenau in diese Japanisch-verfremdete Bühnenwelt gemacht (Kostüm Tanja Kramberger): Die weiten Hosenbeine macht Minna Wündrich mit den Händen in den Taschen zu breitbeinigem Männergestus, wenn sie als ihr vermeintlicher Vetter Shui Ta auftritt. Wündrich verwandelt sich in den Vetter mit einer Art Schiene im Mund, die die Wangen ausbeult – und kann erstaunlicherweise doch deutlich sprechen. Der Wasserverkäufer mit seinen umgehängten Plastiktüten und der Ex-Flieger Yang Sun zeigen deutlich ebenso asiatische Anklänge.

Shen Te, von den Göttern mit Geld für einen Tabakladen belohnt, verspielt diesen wieder durch zu viel Mitleid und Solidarität mit den vielen Armen um sie herum, die sie gnadenlos ausnutzen. Doch statt den reichen Freier und Barbier Shu Fu zu heiraten, verliebt sie sich in den arbeitslosen der Ex-Flieger Yang Sun (perfekt zynisch und amoralisch Jonas Friedrich Leonhardi), der sie um ihren Laden und ihr Geld erleichtern will, damit er wieder fliegen kann.

Um sich zu retten, erfindet Shen Te ihren Vetter Shui Ta, der gnadenlos über die Arbeiter seiner Tabak-Fabrik herrscht. Doch sie wird schwanger und muss das verbergen. Und als es schließlich zu einer Anklage kommt, weil alle die nette Shen Te vermissen, muss sie sich den Göttern als Richtern offenbaren als Shen Te: Sie ist der Gute Mensch, doch es gab so viel Not und so viel Verzweiflung …

Die Götter aber verabschieden sich, das geht sie nichts an, dass da mit der Tabakfabrik: „Leider können wir nicht bleiben.“

Aber der harte Kapitalist, den Vetter Shui Ta, der darf dann doch einmal im Monat durchgreifen, meinen die Götter.

Solidarität oder nicht

Will der Mensch solidarisch und gut sein, „doch die Verhältnisse, die sind nicht so…?“ Kann der Mensch gut sein inmitten der Gesetze des Marktes ? Gibt es ein richtiges Leben im Falschen?

Andere Götter als den Markt?

 Glenn Goltz mit seiner ironisch-brechtschen Bühnenpräsenz macht den Schluss, und der ist allein durch die Pausen durchaus eine zeitgemäße Antwort, auch wenn es heißt : „Wir stehn enttäuscht und sehn betroffen, / den Vorhang zu und alle Fragen offen“ und

 „Soll es ein anderer Mensch sein? Vielleicht andre Götter?“

Pause.

„Oder keine?“

Tosender Applaus, Jubel und stehende Ovationen vor allem für Minna Wündrich und Oberspielleiterin Bernadette Sonnenbichler und den Wasserverkäufer und den Ex-Flieger und all die anderen …

Brechts Epilog der Parabel, die er 1940 in der Emigration beendete, endet mit:

„Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!

Es muss ein guter da sein. Muß, muß, muß!“

(Zitiert inklusive Schreibweise nach Bert Brecht Stücke II, AufbauVerlag 1981)

Weitere Aufführungen und Kartenbestellungen unter www.dhaus.de

Besetzung:

Die drei GötterKilian Ponert, Belendjwa Peter, Yaroslav Ros

Shen Te / Shui TaMinna Wündrich

Yang Sun, ein stellungsloser Flieger / Neffe Jonas Friedrich Leonhardi

Wang, ein Wasserverkäufer Sebastian Tessenow

Der Schreiner Lin To / Der Barbier Shu Fu Glenn Goltz

Die Hausbesitzerin Mi Tzü / Der Bonze Fnot Taddese

Die Witwe Shin Anya Fischer

Der Polizist / Der Arbeitslose, später Agent Markus Danzeisen

Die Tabakhändlerin Ma Fu / Die alte Prostituierte Katharina Dalichau

Nichte Amina Merai

Schwager Florian Gaar

Großvater Thomas Brähler / Otto Hauptmann

Kind Philipp Jagiela / Theodor Taprogge

Live-MusikT obias Vethake, Romy Camerun, Karla Wenzel

Regie Bernadette Sonnenbichler

Choreografie Tadashi Endo

Bühne David Hohmann

Kostüm Tanja Kramberger

Musikalische Leitung Tobias Vethake

Licht Thomas Krammer

Dramaturgie David Benjamin Brückel