Minna Wündrich ist überzeugend die liebe, aber naive Shen Te, auch zurückhaltend kraftvoll, aber geradezu explosiv, wenn sie sich etwa mit dem ex-Flieger Yang Sun erst prügelt und dann doch küsst. Wündrich ist als Shen Te/ Shui Ta ein Theater-Erlebnis.
Sie sorgt sich um den Wasserträger (hervorragend Sebastian Tessenow), der ja als erster die „Götter“ entdeckt und sie zu Shen Te bringt, dem guten Menschen von Sezuan, denn sie bietet als einzige Unterschlupf für die Götter.
Anklänge an japanisches Theater
Diese Götter sind ein ausgezeichnete Mischung aus bürokratischen Oberen und weltfremden Wesen. Ein Erlebnis sind allerdings die überlebensgroßen Masken-Köpfe, die eindeutig Anlehnungen aus dem japanischen Theater sind. Auch die Bewegungen der Akteur:innen sind aus dieser Tradition entlehnt, etwa wenn sie mit übertriebenem Stampfen und breitbeinig daherschreiten. Das ist sicherlich Ergebnis der Choreographie von Tadashi Endo, einem in Göttingen lebenden japanischen Butoh-Meister. Butoh ist ein japanisches Tanz-Theater.
Berührend die Szene, in der die Hände aus den Mündern der Götter-Köpfe herauskommen und über die schlafende Shen Te wachen.
Episches Theater
Regisseurin Sonnenbichler inszeniert ganz im Sinne brechtscher Verfremdung. So unterbrechen Lieder die Szenen, aber die Akteur:innen singen sie verfremdet, also unter ihren Fähigkeiten. Die Kostüme sind passgenau in diese Japanisch-verfremdete Bühnenwelt gemacht (Kostüm Tanja Kramberger): Die weiten Hosenbeine macht Minna Wündrich mit den Händen in den Taschen zu breitbeinigem Männergestus, wenn sie als ihr vermeintlicher Vetter Shui Ta auftritt. Wündrich verwandelt sich in den Vetter mit einer Art Schiene im Mund, die die Wangen ausbeult – und kann erstaunlicherweise doch deutlich sprechen. Der Wasserverkäufer mit seinen umgehängten Plastiktüten und der Ex-Flieger Yang Sun zeigen deutlich ebenso asiatische Anklänge.
Shen Te, von den Göttern mit Geld für einen Tabakladen belohnt, verspielt diesen wieder durch zu viel Mitleid und Solidarität mit den vielen Armen um sie herum, die sie gnadenlos ausnutzen. Doch statt den reichen Freier und Barbier Shu Fu zu heiraten, verliebt sie sich in den arbeitslosen der Ex-Flieger Yang Sun (perfekt zynisch und amoralisch Jonas Friedrich Leonhardi), der sie um ihren Laden und ihr Geld erleichtern will, damit er wieder fliegen kann.
Um sich zu retten, erfindet Shen Te ihren Vetter Shui Ta, der gnadenlos über die Arbeiter seiner Tabak-Fabrik herrscht. Doch sie wird schwanger und muss das verbergen. Und als es schließlich zu einer Anklage kommt, weil alle die nette Shen Te vermissen, muss sie sich den Göttern als Richtern offenbaren als Shen Te: Sie ist der Gute Mensch, doch es gab so viel Not und so viel Verzweiflung …
Die Götter aber verabschieden sich, das geht sie nichts an, dass da mit der Tabakfabrik: „Leider können wir nicht bleiben.“
Aber der harte Kapitalist, den Vetter Shui Ta, der darf dann doch einmal im Monat durchgreifen, meinen die Götter.
Solidarität oder nicht
Will der Mensch solidarisch und gut sein, „doch die Verhältnisse, die sind nicht so…?“ Kann der Mensch gut sein inmitten der Gesetze des Marktes ? Gibt es ein richtiges Leben im Falschen?
Andere Götter als den Markt?
Glenn Goltz mit seiner ironisch-brechtschen Bühnenpräsenz macht den Schluss, und der ist allein durch die Pausen durchaus eine zeitgemäße Antwort, auch wenn es heißt : „Wir stehn enttäuscht und sehn betroffen, / den Vorhang zu und alle Fragen offen“ und
„Soll es ein anderer Mensch sein? Vielleicht andre Götter?“
Pause.
„Oder keine?“
Tosender Applaus, Jubel und stehende Ovationen vor allem für Minna Wündrich und Oberspielleiterin Bernadette Sonnenbichler und den Wasserverkäufer und den Ex-Flieger und all die anderen …
Brechts Epilog der Parabel, die er 1940 in der Emigration beendete, endet mit:
„Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein. Muß, muß, muß!“
(Zitiert inklusive Schreibweise nach Bert Brecht Stücke II, AufbauVerlag 1981)
Weitere Aufführungen und Kartenbestellungen unter www.dhaus.de
Besetzung:
Die drei GötterKilian Ponert, Belendjwa Peter, Yaroslav Ros
Shen Te / Shui TaMinna Wündrich
Yang Sun, ein stellungsloser Flieger / Neffe Jonas Friedrich Leonhardi
Wang, ein Wasserverkäufer Sebastian Tessenow
Der Schreiner Lin To / Der Barbier Shu Fu Glenn Goltz
Die Hausbesitzerin Mi Tzü / Der Bonze Fnot Taddese
Die Witwe Shin Anya Fischer
Der Polizist / Der Arbeitslose, später Agent Markus Danzeisen
Die Tabakhändlerin Ma Fu / Die alte Prostituierte Katharina Dalichau
Nichte Amina Merai
Schwager Florian Gaar
Großvater Thomas Brähler / Otto Hauptmann
Kind Philipp Jagiela / Theodor Taprogge
Live-MusikT obias Vethake, Romy Camerun, Karla Wenzel
Regie Bernadette Sonnenbichler
Choreografie Tadashi Endo
Bühne David Hohmann
Kostüm Tanja Kramberger
Musikalische Leitung Tobias Vethake
Licht Thomas Krammer
Dramaturgie David Benjamin Brückel