Das Lachen über den etwas naiven Theo Glass, den gläsernen Bürger, bleibt einem immer wieder im Halse stecken. Wie gehen wir denn mit unseren Daten, unseren Fotos, um? Theo Glass (Sebastian Tessenow) mit Hippster-Frisur, das Wohnzimmer eine Mischung aus den 70er und heute, da darf die lange Sitzcouch nicht fehlen. Im Hintergrund in einem Projektions-Fenster typische Reihenhäuser, sofort fällt einem das Lied ein : „and they all live in little Boxes, little Boxes all the same ...“ In die Reihenhauswohnung hat Theo Herrn Kwandt mitgebracht, auch „Herr K“, wie bei Kafkas „Prozess“. Herr Kwandt soll alle Arbeit abnehmen. Theo möchte Kaffee. Jaa-a. Aber erst müssen Theo und Anna die AGBs unterschreiben – dann gibt es auch „Kaffee“. Lesen will die AGBs ja keiner, viel zu lang, zu schwierig. Unterschrift. Kaffee – Latte Macchiato und Cappucchino– gibt es aber erst nach der Werbung: Herr Kwandt (Florian Lange) offeriert eine Siebträgermaschine … Theo will die „zweikreisige“ für 1300 Euro.
Als Anna, Besitzerin eines Blumenladens, mit Herrn Kwandt allein ist, und das Wort „Astern“ erwähnt, zitiert der Gottfried Benn, „Kleine Aster“ – nicht eben angenehm. Aber Herr K hat eben schnellen Zugang zu Daten, die zu Astern passen. Und als Algorithmus findet er vielleicht nicht immer das passende. Anna (Tanja Schleiff) lehnt zunächst mal Herrn Kwandt ab.
Thea nimmt Herrn Kwandt mit im Auto, und der Herr K sitzt da mit Stadtplan, gibt die Route vor – ein Navi, wie wir es kennen. Köstliche Szene, jeder kennt das, wie die Navi-Stimme einen nervt. Aber Herr K als Navi kennt eben auch alle die Straßen, die Theo früher mal gefahren ist. Etwa zur Kollegin Sabrina.
Theo nimmt Herrn Kwandt also mit in sein Büro im„Institut des allgemeinen Wissens“, und es kommt, wie es kommen … wird: Herr Kwandt, wie „kwantifizieren“, mit schnellem Rückgriff auf das Netz, kann sehr bald alles besser erledigen. Und schneller. Der Chef ist begeistert: Schneller, umsonst, pflegeleicht… Kurz darauf ist Theo gefeuert. Etwas später allerdings auch der Chef. Die Arbeit übernehmen die Herrn Kwandts.
Sabrina, die Kollegin von Theo (wunderbar naiv Lou Strenger) wird zwar irgendwann auch gefeuert. Aber sie hat sich mit dem Netz, dem Mechanismen von „Gesichtsbuch“ und Co arrangiert.
Gesichtsbuch? Autor Philipp Löhle hat konsequent amerikanische Begriffe eingedeutscht: „Follower“ sind hier die Verfolger, das macht ja Sinn, Facebook mit seinen vielen persönlichen Fotos wird zum Buch „G“, zum Gesichtsbuch, das Facebook „like“ wird zum „Gefällt mir“, nur Pfeifenbläser für Whistleblower klingt etwa ungewohnt.
Theo also ist ersetzt durch die Algorithmen. Seine nun doch schwangere Frau Frau hat sich von ihm getrennt, weil bei einem kwantifizierten Test kaum eine Übereinstimmung mit dem Ehegatten festgestellt wurde.
Theo hat im Park übernachtet, und Stimmen aus dem Off machen klar: Er sucht seinen freien Willen. (Stimme: „Was ist das?“) Theo kann aber bei Ex-Kollegin Sabrina nicht duschen. Denn sie hat jetzt als Influenzerin – Beeinflusserin, „davon gibt’s immer mehr“ – mit dem Namen „Babsi Bunt“ ganz viele „Verfolger“. Und diese Babsi kann sich mit so einem nicht sehen lassen.
Seine Frau hat jetzt einen Blumenladen, in dem ihr Herr Kwandt online/ „von der Leine“ Bestellungen aufnimmt. So für einen „Haxlei, mit X“ – genau, der, Aldous Huxley, „Schöne neue Welt“, deutsch 1932 ….
Theo Glass kommt schließlich vor eine TV-Kamera und will die Welt aufklären. Über die Datensammler, die Quantifizierer, die alles und jedes und jeden aufzeichnen. Aber seine größte Angst ist, dass die Bevölkerung seine Enthüllungen sehen und hören wird, „aber es wird sich nichts ändern. Es werden alle so weitermachen, wie bisher.“ Eine düstere Szene, aber so isses wohl. Wir haben ja nichts zu verbergen – meinen wir.
Der Schluss ist etwas zu metaphorisch, mit den Kindern, die die Kwandts nähren.
Dagegen haben schon gegen Ende die Stimmen, die Kwandts, klar gemacht: Theo glaubt jetzt, seinen eigenen Willen in Freiheit durchsetzen zu können. Im Dialog der Kwandts mit Anna wird deutlich: Theo hat jetzt eine eigene Pfeifenbläser-Show und viele Verfolger (Follower) – das Netz der Kwandts hat ihn eingeholt, hereingeholt, vereinnahmt. Das wäre im Sinne einer Negativen Dialektik und der skeptischen Grundtöne der „Mitwisser“ der bösere, aber auch realistischere Schluss.
Mit „Die Mitwisser“ unter der Regie von Bernadette Sonnenbichler hat das Schauspielhaus eine bittere Komödie uraufgeführt, wie sie aktueller nicht sein kann – und mit der Assoziation zu „Datenkrake“ oder „Big Data“ ziemlich bedrückend. „Gruselig“, meinte eine Zuschauerin nach der Uraufführung am Samstag im Schauspielhaus. Theater als Denkanstoß und Anreiz für Diskussionen eben.
Langer, langer Applaus. Und auch, ja, etliche nachdenkliche Gesichter.
(Autor Jo Achim Geschke)
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