Schon der Originaltitel des 1787 uraufgeführten Mozart-Werks heißt frei übersetzt „die Bestrafung des Wüstlings…“ (il dissoluto) Giovanni oder auch Johan. So heißt er im Jugend-Stück der Schwedischen Autoren, die bekannt sind für ihre Umdeutungen von Klassikern. Ihr Don Giovann spielt unter Zwölfjährigen in einer Schulklasse.
Johan (Fatih Kösoğlu) hat den „Leporello“ zur Seite, den Jonathan Gyles sehr schön als etwas dümmlich-raffiniert oder auch clever darstellt. Während die Düsseldorfer Oper auf ihrer Website den Giovanni als „Herzensbrecher“ beschreibt, einer von denen, die mit „gesunder bis ungesunder Selbstüberschätzung ihr Potential bei der Damenwelt nach Kräften ausschöpfen“ (sic), beschreibt ihn Leporello in der Klasse als Schwarm aller Mädchen. Johan ist allerdings eher ein Junge, der noch nicht so recht weiß, wie er sich verhalten soll, aber schon die Rollenerwartungen für Jungs ausfüllt.
In die Klasse, die sich als beste aller Klassen sieht (Leporello), kommt Elvira (ausgezeichnet Felicia Chin-Malenski). Sie stellt Fragen, ist selbstbewusst, reflektiert. Sie trifft auf Anna (Natalie Hanslik), die sich als schüchtern gibt. Und eine Lehrerin, die die Normen der Gesellschaft verinnerlicht hat und sofort versucht, Elvira in die Normen zu weisen: „Ich mache hier den Unterricht …es gibt soziale Codecs“, als Elvira Fragen stellt.
Leporello findet Elvira toll, nähert sich ihr mit „Don Giovanni ist meine Lieblingsoper“. Meine auch sagt Elvira, aber als Leporello meint, seine Lieblingsarie sei das wundervolle „Reich mir die Hand mein Leben“ – reagiert Elvira mit
„Ja ja, Giovanni hat gerade eine Frau vergewaltigt und dann singt er „Reich mir die Hand mein Leben…“.
Elvira weist ihn ab, als er zudringlicher wird, auch handfest. Auch Johan kann mit seinem angeblichen Charme nicht bei Elvira landen, was er nicht versteht. Leporello allerdings erklärt nun Johan, was viele Männer noch immer glauben: Wenn Frauen „nein, nein“ sagen, meinen sie doch „ja, ja“.
Daraufhin kommt es zum Schlimmsten: Johan, der Zurückweisung nicht akzeptiert, versucht Elvira zu küssen, Leporello und Johan halten sie fest, sogar Anna hilft dabei. In die Vergewaltigungs-Szene platzt die Lehrerin Frau Steinberg (Eva Maria Schindele). Die ist Sinnbild der Gesellschaft bis heute: Sie greift Elvira an, die sich ja hätte anpassen können, die sich ja netter hätte verhalten können etc. Richter:innen und Kriminalist:innen kennen das noch heute als Reaktion von Angeklagten und Zeugen.
Es scheint, als hätte sich nicht so vielverändert seit vielen Jahren. Schüler und auch Schülerinnen verhalten sich wie die vermeintlich Erwachsenen in der Gesellschaft, überkommene Rollenbilder verhindern dabei oft Aufklärung. Als wir 1968 eine kleine, selbst gemachte Aufklärungsschrift vor Schulen verteilten (mit Text-Zitaten renommierter Wissenschaftler und meinem Vorwort), in denen Ärzte genannt wurden, die die Pille an 16-Jährige verschrieben, suchte uns der Staatsanwalt wegen „Pornographie“ (erfolglos übrigens). Es hat lange gedauert, bis sich ein anderes Verständnis von Frauen, jungen Frauen, durchgesetzt hat – wenigstens bei einer aufgeklärten Mehrheit.
Im Jungen Schauspiel verlässt die unabhängige, reflektierte Elvira die Schule. Die Lehrerin macht weiter ….
Langer Applaus des mit Jugendlichen voll besetzten Saals für die Darsteller:innen und die deutsche Erstaufführung unter der Regie von Farnaz Arbabi mit der Musik von Mats Johan Leenders und Mathias Höderath.
Und zum Schluss bietet die Hauptfigur Felicia Chin-Malenski den Jungen Zuschauer:innen an, mit ihr und dem Ensemble zu reden, auch abseits der Bühne, falls jemand aus dem Publikum ähnliche Erfahrungen gemacht habe oder Fragen zum Stück habe. Das bietet das Ensemble in der Münsterstraße 446 für alle Aufführungen an.
Viele Jugendliche blieben noch.
Weitere Aufführungen und Karten auch für Schulklassen unter
https://www.dhaus.de/programm/spielplan/don-giovanni/6435/
Besetzung:
Elvira: Felicia Chin-Malenski
Anna: Natalie Hanslik
Johan: Fatih Kösoğlu
Leporello: Jonathan Gyles
Frau Steinberg: Eva Maria Schindele
Regie: Farnaz Arbabi
Bühne und Kostüm: Jenny Kronberg
Komposition: Mathias Höderath, Matts Johan Leenders
Licht: Christian Schmidt
Dramaturgie: Kirstin Hess
Theaterpädagogik: Ilka Zänger