Dieser Peer Gynt ist der markige Mann, der, wie wir heute wissen, als erstes vom Herzinfarkt bedroht ist. Als ihn die Krankheit zum Tode ereilt, kommt ein merkwürdiger Mann zu ihm, der seinen Leichnam will, der ihm mitteilt, dass seine Stunde gekommen sei. Der merkwürdige Mann (bestens gespielt von Kilian Ponert) ist der Tod, der sich nicht so nennt, der mit sich handeln lässt, und dem Peer Gynt trotzen will.
Peer Gynt geht auf eine Reise zu Stationen in seinem Leben und den Phantomen seiner Phantasie. Er wird Passagier auf einem Schiff im Sturm, das der Bootsmann steuert ( Mila Moinzadeh überzeugend in allen seinen/ ihren Rollen). Peer Gynt trifft die lärmigen Waffenhändler, die nicht hemdsärmelig sind, sondern in nur halben, abgerissenen Anzügen herumgrölen und saufen.
Der Mann auf der Suche nach seinem Ich
Dieser Peer Gynt ist der kraftstrotzende Muskelmann, der einem weinerlichen Typ (Moritz Klaus) die Braut stiehlt – diese Braut oder auch Solveig (Raphael Gehrmann spielt sie im Tüllrock hervorragend) kommt später wieder und erinnert an Solveig Lied in Griegs Musik. Auf der Bühne sorgen Tobias Vethake und Karla Wenzel für die Musik vom einem hohen Gerüst mit E-Cello und Keyboard.
Der Antiheld Peer Gynt kommt als empathieloser Kerl mit den Fellhändlern in Kontakt, begegnet aber immer wieder auch dem Mann im grauen Mantel mit Hut, dem Tod, der Peer Gynt an sein Ende mahnt, aber der verhandelt.
Der Tod im hellen Mantel verweist Peer auf sein wahres Ich : „Sie sind unter Durchschnitt, sie kommen in die Hölle.“
Wenn Peer sich schließlich als Troll-König und Kaiser mit den Trollen einlässt, zeigt sich weiterhin die Wucht der Inszenierung auch in den Kostümen voller phantasievoller Einfälle (Anna Brandstätter). Die teils recycelten Kostüme oder blaue Faun-Gehörne lassen Bilder auftanzen, ein elektrischer Transportwagen surrt über die Bühne und holt uns überraschend in die Jetztzeit.
Das Ich und die Zwiebel
Schließlich trifft der Held, der zeitweise von etlichen Thorax-Röntgenbildern umgeben ist, auf den alten Trollkönig (ausgezeichnet Rolf Mautz). Der zieht sich aus und zeigt, wie so ein Ich aussieht: Wie eine Zwiebel, noch eine Schale, noch eine Hülle … Peer Gynt erkennt in dem Alten sich selbst. Er erkennt Hüllen, aber nicht den Kern.
Peer: "Ich geh bis zum Meer… noch viel weiter.“
Langer Applaus für eine grandiose Inszenierung und ein hervorragendes Ensemble mit verletztem, aber davon unbeirrtem, beeindruckeendem Hauptdarsteller.
Nachhaltig: ein erläuterndes Programmheft im Netz
Regisseurin Sonnenbichler hat den Peer Gynt in 21 Bilder aufgelöst. Diese Stationen sind im Web abrufbar. In mehreren Interviews und Podcast-Beiträgen, die ebenfalls auf der Seite des D haus zu lesen / hören sind, werden auch die intensiven Überlegungen deutlich , die zu diesem klimafreundlichen Projekt als erstem seiner Art führten.
Klimaneutral heißt was ?
Das schwebende Holzhaus auf der Bühne besteht aus Brettern der Inszenierung „Figaros Hochzeit“ vor dem D Haus, ein riesiges Bild roter Wolken im Hintergrund aus der Produktion „Fight Club“ (Mai 2019), die Gerüste sind großenteils gebraucht gekauft, die Rampe ist Baumarkt-Ware.
Der Leiter des fördernden Programms Zero der Kulturstiftung des Bundes schreibt zur klimaneutralen Produktion in Düsseldorf: „Die Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses ist ein wichtiger Bestandteil in dieser bundesweiten Initiative, in der die Kulturhäuser engagiert wie freudig an klimafreundlichen Formen künstlerischer Produktion forschen. Das am Schauspielhaus inszenierte Stück über den jungen Mann Peer Gynt von Henrik Ibsen, der auf der Suche nach sich selbst und seinen Platz in der Welt eine Reise durch verschiedene Lebensphasen und Orte unternimmt, ist ein spannendes literarisches Werk und eröffnet uns vielschichtige Parallelen zu den Erfahrungen der Kultur-Einrichtungen.
Denn die Reflexion der eigenen Verantwortung, eine moralische Verpflichtung und die Befragung der Sinnhaftigkeit von Arbeitsweisen sind wichtige Bestandteile einer Debatte zum Umgang mit Ressourcen in Zeiten des Klimawandels.“
Generalintendant Wilfried Schulz schreibt dazu: „Wie wollen wir leben? Wie gehen wir mit unserer Welt um? Gerade in den letzten Wochen und Monaten wird uns bewusst, dass wir in vielen unserer Entscheidungen nicht frei sind. Dass wir uns zu Dingen verhalten, die rund um uns herum geschehen und die auch jenseits unseres Einflussbereiches liegen. Aber in unserem unmittelbaren Handeln können wir unsere Haltung Ausdruck geben. Wir arbeiten im Theater, wir produzieren Kunst und nehmen an einem gesellschaftlichen Diskurs teil. Das nimmt uns in die Verantwortung. Es ist, so denke ich, in unserer Kulturlandschaft völlig unumstritten, dass die Theater sich mit den Anforderungen einer steigenden Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Wir entwickeln auf der Bühne Thesen, denen wir uns zu stellen haben. … In diesem Modellprojekt einer CO2 neutralen Produktion, die wir mit „Peer Gynt“ verssuchen,…wird eines klar: Je intensiver und konkreter wir uns mit dem Thema beschäftigen. Desto komplizierter und kleinteiliger wird der Vorgang. Umso sichtbarer wird, dass wir ganz am Anfang stehen.“
Das Programmheft im Netz:
https://www.dhaus.de/programm/a-z/peer-gynt-ibsen/
Den Aspekt Klimawandel, Klimaneutrale Produktionen sowie Kultur und Klimawandel werden wir zeitnah in einem extra Artikel ausführlich behandeln.
Die Inszenierung „Peer Gynt“ wird gefördert im Fonds Zero der Kulturstiftung des Bundes und mit freundlicher Unterstützung der Freunde des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Besetzung
Peer Gynt Heiko Raulin
Peer Gynt, Solveig, Trollkoch, Herr Schreibfeder Raphael Gehrmann
Peer Gynt, Einer, Mads Moen, Master Cotton, königlicher Bote, die Grüne, König Apis Moritz Klaus
Peer Gynt, der mit Krone, Mads Moens Großvater, Monsieur Ballon, Trollkönig Rolf Mautz
Peer Gynt, Bootsmann, Aslak, Ingrid, Trolljunge, teuflischer Pastor Mila Moinzadeh
Peer Gynt, der fremde Passagier, Bauer, Trumpeterstrole Kilian Ponert
Peer Gynt, Aase, Herr von Eberkopf, Hoftroll, Begriffenfeldt Jürgen Sarkiss
Bauernjunge, Affe Weißgips Anton Jäger / Rafael Wohlleber
Musiker:innen
E-Cello, Gitarre, Drum-Machine, Mandoline Tobias Vethake
Gesang, Bass, Synthesizer, Sounddesign Karla Wenzel
Regie Bernadette Sonnenbichler
ChoreografieNir de Volff / Total Brutal
BühneWolfgang Menardi
Mitarbeit BühneAliki Anagnostakis
Kostüm Anna Brandstätter
MusikTobias Vethake, Karla Wenzel
LichtThomas Krammer, Paul Grilj
DramaturgieDavid Benjamin Brückel
Künstlerische Koordination und Prozesssteuerung der Produktion zum Thema Klimaneutralität Susanne Hoffmann