Eine kleine einfache Wohnung mit Wäsche auf der Leine im Zimmer, Kruzifix an der Wand und mit altem Herd, Kühlschrank – ein Bühnenbild bis ins Detail. Eddie, der Hafenarbeiter, sitzt in Arbeitsklamotten am Tisch. Und er hat das Sagen zu Hause. Seine Frau Beatrice zeigt allerdings einmal in einem sehr amerikanischen, aber auch selbstironischen Pin Up-Tanz um den Staubsauger, dass sie ihn überzeugen kann. (Szenenapplaus für Cathleen Baumann!)
Als die neuen Einwanderer kommen, ist Eddie (Wolfgang Michalek) skeptisch. Aber die Familie in Italien ist bitterarm, Rudolpho und Marco ziehen Kutschen und Karren selbst, denn „unsere Pferde sind dünner als die Ziegen“, sagt Rudolpho. Marco will in Amerika Geld verdienen für seine Frau und drei hungernde Kinder zu Hause. Rudolpho aber will bleiben, Amerikaner werden. Und flirtet mit Catherine. Lieke Hoppe (26) spielt diese noch schlaksige, 17-jährige Catherine bis in den kindlichen Gang und die einwärts gedrehten Füße hinreißend überzeugend. Catherine ist es, von der Eddie vorgibt, für sie zu sorgen, die er jedoch heimlich liebt. Aber Rudolpho (hervorragend Serkan Kaya) kommt bald mit goldener Disco-Jacke und roten Schuhen daher. Und gewinnt Catherine für sich.
Arthur Millers Stück „Ein Blick von der Brücke“ (der Brookly-Bridge) heißt eben „ein Blick ...“, ein Beispiel für den geplatzten „amerikanischen Traum“ im Einwanderer-Viertel, in der realität gegenüber der Freiheits-Statue. Und Regisseur Armin Petras dirigiert das Ensemble durch diese inzestuöse Liebesgeschichte mit klaren Hinweisen zur Entstehung von Fremden-Hass.
Theater, sagt Anwältin Alfieri gleich zu Beginn, will nicht nur ein Stück reproduzieren – und verfremdet so schon den Blick auf die Darstellung, ebnet die Brücke von der Bühne zur Aktualität. Anwältin Alfieri ( Lea Ruckpaul) setzt so zu Beginn und auch während des Stücks mit Kommentaren vor der Bühne klare Wegweiser im Stil einer Verfremdung. „Sie, auch Sie könnten unser tragischer Held sein“. Ihre Erläuterungen und Einordnungen sind in Millers Stück (Uraufführung 1955) so nicht vorhanden, sie wurden von den Schauspieler_innen und dem Regisseur bei den Proben erarbeitet. Und auch die großen Werbeschilder von „Instagram“, „Tinder“ und der sehr junge „Onkel Sam“ („I want You!“) auf einem Plakat auf der Bühne zerren das Szenario unzweideutig in die Jetztzeit.
Die Fremdheit sitzt in Eddies eigenem Leib, innen drin, sagt Anwältin Afieri. Die anderen können gar nicht fremd sein, es ist seine Gefühls- und Gedankenwelt, die die anderen ausgrenzt. „Ich hab 30 Jahre malocht“, beschreibt er dagegen seinen kleinen amerikanischen Erfolg, er hat auf vieles verzichtet, angeblich um Catherine eine Zukunft zu bieten, „und jetzt kommt der Typ und nimmt es einfach weg“, mault er. Eddi kann die Erzählungen von gestern und heute nicht mehr begreifen, nicht mehr sehen, was gestern war und was dagegen heute ist, heißt es. Das deutet direkt auf die aktuelle Diskussion hin.
Arthur Millers Stück wurde 1955 aufgeführt, ein Jahr später wird er nicht zufällig vor das „Kommitee für unamerikanische Umtriebe“ (McCarthy) zitiert. Der Blick von der Brooklyn Bridge ist eigentlich ein Blick auf eine Tragödie. Und doch kann sich Mitleid mit dem verliebten Eddie, dem tragischen Helden (Alfieri), nicht so recht einstellen. Nachdem klar ist, dass Christine den Einwanderer Rudolpho heiraten wird, verrät er den illegal eingereisten an die Einwanderungsbehörde. Und stellt sich damit außerhalb der Gemeinschaft der Eingewanderten im Viertel südlich der Brooklyn Bridge. Ausgewiesen wird Marco, der drei Kinder und Frau in Italien nun nicht mehr ernähren kann.
Regisseur Armin Petras hat als Unterstützung einen 16-köpfigen „Chor“ auf die Bühne gebracht, der aber stumm bleibt. Der Chor, der an die griechischen Tragödien erinnern soll, bringt mit einer phantastischen Choreographie viel Bewegung in die später offene Bühne. Alle 16 im Chor haben Namen, die eindeutig auf Migration, auf Einwanderer hinweisen. Den Gegensatz zum stummen Chor bilden die lauten, sehr „italienischen“ Streitereien in der Wohnung – und die laute Musik, darunter übrigens auch von Jimmy Hendrix.
Der Schluss lässt aber ein wenig ratlos zurück: Eddi, von allen ausgeschlossen, allein, von seiner Frau mit Rotwein übergossen, verschwindet rotweinblutig in der Masse, im Chor. Die Erwartung ist eher, dass Eddi einsam und allein davon humpelt. Ohnehin hat das Stück zum Ende hin noch Längen, was aber dem Lob für die Inszenierung und die Schauspieler keinen Zentimeter Abbruch tut.
(Text: Jo Achim Geschke)
Weitere Aufführungstermine und Kartenbestellung: