Heine-Preis 2016 für Alison Louise Kennedy

Heine-Preis an A.L. Kennedy - „Zwischen dem Mangel an Kultur und dem Mangel an Menschlichkeit besteht eine Verbindung.“

Von Jo Achim Geschke |

OB Thomas Geisel, Preisträgerin A. L. Kennedy, Prof. Dr. Julika Griem, die den Laudator Hubert Spiegel vertreten hat / Foto David Young Landeshauptstadt Düsseldorf

Das Zitat stammt aus der Rede der Preisträgerin Alison Louise Kennedy (51), die sie am Sonntag im Rathaus hielt. Der Heine-Preis der Stadt Düsseldorf ist einer der bedeutendsten Literatur-Preise, verleihen etwa zur Zeit des Geburtstags Heines am 12. Dezember. Es ist ein Preis für streitbare LiteratInnen und EuropäerInnen, daher stehen hier Ausschnitte aus der Rede der englischen Schriftstellerin zitiert: „In diesem Land gibt es in den Massenmedien immer weniger Berichterstattung über Kunst und Kultur. In diesem Land ist der öffentliche Diskurs ein höllisches Gebräu aus Klatsch, böswilliger Erfindung, Rassismus, Aufhetzung zum Hass und Obszönität.“

(Über England:)„Dieses Land verfügt über ein in Scherben liegendes Bildungssystem für die Masse, das auf Monetarisierung und Auslese durch Tests gründet, sowie ein emotional traumatisierendes und Vorrechte zementierendes Bildungssystem für die Elite.“ so A. L. Kennedy.

„In diesem Land verzweifeln die Beamten, gründen Politiker ihre Entscheidungen auf Glauben und Gefühl, wozu allerdings weder Glauben an die Menschheit noch Gemeinschaftsgefühl zählen, in diesem Land wird jeder Versuch, sich über das Niveau der Gosse zu erheben, als Besserwisserei oder weltfremder Wahnsinn gebrandmarkt.“


„Wir können über Mitmenschlichkeit und Mitgefühl lesen – wie man sie vermindert, wie man sie vergrößert – indem man das tut, was die Kunst tut. Wir können die Geschichte studieren, wir können immer wieder die wunderbare und schreckliche Wahrheit in Heines Versen aus der Tragödie Almansor lernen: "Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Wir können auf die Arbeit Raphael Lemkins schauen, des Mannes, der den Begriff Genozid oder Völkermord prägte, als dieses Verbrechen noch keinen Namen hatte, und der den Weg vieler Kulturen in den Völkermord studiert hat – und dabei erkennen, dass das Vorspiel in der Tat immer das gleiche ist – zuerst wird die Kunst ermordet, dann die Menschen. Immer. Immer.“


„Wie vielleicht sehr viele von uns in komfortablen, stabilen Demokratien habe ich vergessen, dass der Preis der Freiheit ständige Wachsamkeit ist, und ich habe träges Schweigen und Feigheit für
wahrhaft liebevolle Toleranz gehalten.“


„Wenn uns Reality-Fernsehen gezeigt wurde, in dem die Menschlichkeit geschmälert wird, uns Artikel vorgelegt wurden, die auf eine Weise lügen, wie es sich keine Fiktion trauen würde, wenn Worte benutzt wurden, um sie ihrer Bedeutung zu berauben, oder wenn zynische Webseiten sich von Wut und Empörung nähren und dabei nur noch mehr davon erzeugen – dann habe ich nicht oft genug gesagt: Für so etwas darf es unter uns niemals einen Platz geben. Es ist nicht abgehoben oder elitär, das Beste für seine Mitmenschen zu wollen – es ist vielmehr eine Beleidigung, daneben zu stehen und zuzusehen, wie andere Menschen mit Exkrementen gefüttert werden, wie immer und immer und immer wieder gezeigt wird, wie tief der Mensch sinken kann. Es kann nicht sein, dass nur Autos und Elektrogeräte uns zu besseren Menschen machen. Es muss so sein, dass unsere Theaterstücke, unsere Romane, Lieder, Fotografien, Gemälde, Zeichnungen, Gedichte, Ballette, Opern und alle anderen Kunstwerke außergewöhnlich, vielfältig, unerwartet und lebendig sind. Wenn wir kein Geld haben, dann haben wir eben kein Geld – Kunst kann billig sein, ohne dass sie deshalb schlecht, giftig, hasserfüllt sein muss. Das ist eine notwendige und wichtige Wahrheit.“


Die Laudatio wurde von Prof. Dr. Julika Griem vorgetragen, die ihren Ehemann Hubert Spiegel vertrat - dieser konnte krankheitsbedingt nicht zur Verleihung erscheinen. „Christliche Symbolik spielt in den Büchern der calvinistischen Schottin, A. L. Kennedy, die 1965 in Dundee geboren wurde und an der Universität von Warwick Theater und Drama studierte, des Öfteren eine Rolle. Fast immer aber gibt es bei ihr eine metaphysische Dimension, und sei es nur in Form einer Sehnsucht nach Erlösung.“


A. L. Kennedys Interesse gilt allem, was Menschen verletzen oder sogar zerstören kann, und es gilt allem, was ihnen erlaubt, mit den Wunden und Verwüstungen ihrer Seelen weiterzuleben.
In ihren Kolumnen, Interviews und den Artikeln, die sie für englische und gar nicht so selten auch für deutsche Tageszeitungen schreibt, waren der Irak-Krieg und die englische Beteiligung daran, die Krise des englischen Bildungssystems und zuletzt natürlich der "Brexit" wiederkehrende Themen. Als ich sie vor vier Jahren, damals hieß der englische Premierminister noch David Cameron, in einem Interview nach der Lage der Universitäten in ihrer Heimat fragte, gab sie folgende Antwort: "Unsere Regierung verhält sich gerade wie eine schlaue feindliche Macht, wie ein Besatzer: Sie zerschlägt das intellektuelle Milieu, zerstört das demokratische Bildungssystem, vernichtet ganze Kulturbereiche, löscht eine freie und wirkungsvolle Presse aus, zerstört das Verlagswesen wie auch andere öffentliche Kommunikationseinrichtungen einschließlich des öffentlichen Verkehrs und des Gesundheitswesens und verkauft auch noch unsere Trinkwasserversorgung ins Ausland. Das ist verstörend."


OB Thomas Geisel in seiner Rede: „Der Preis ist Menschen zugedacht, die durch ihr – ich zitiere aus den Bestimmungen – „geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen,“ … „den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten“.  Gewürdigt werden Menschen, die dem Vorbild Heinrich Heines folgen und in seinem Geiste agieren. …. In diesem Jahr hat die Jury mit A.L. Kennedy eine Preisträgerin ausgewählt, die ein ähnliches Gespür für gefährliche gesellschaftliche und politische Entwicklungen hat wie Heinrich Heine. Stets pointiert, feinfühlig, oft ironisch oder sarkastisch ist sie eine kritische Weltbürgerin, die voller Sorge um die Menschen beobachtet, welchen Abgründen die Menschheit und die Gesellschaft in der Welt und in ihrem Heimatland entgegensteuern. A.L. Kennedy erhebt ihre Stimme gegen Verwerfungen und fordert Verantwortung von der Bildungsgesellschaft ein, besonders in ihren politischen Kolumnen in der Tageszeitung „The Guardian”. Und sie wirbt mit den Mitteln der Kunst, mit Aufklärung und Bildung für die Freiheit. Diesen Geist der Wachsamkeit vermittelt sie auch den Studierenden der University of Warwick, an der sie als Professorin für kreatives Schreiben lehrt.“


Kurzvita der Preisträgerin:

A. L. Kennedy schreibt neben Romanen und Kurzgeschichten für Theater, Fernsehen und Radio. Seit dem Jahr 2000 hat sie eine politische Kolumne in der Tageszeitung "The Guardian". Seit 2007 ist A. L. Kennedy Professorin für Kreatives Schreiben an der University of Warwick. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Alison Louise Kennedy wurde am 22. Oktober 1965 in Dundee geboren. Sie studierte an der Universität von Warwick Theater und Drama. Zum ersten Mal veröffentlichte sie 1991 eine Sammlung von Kurzgeschichten in dem Band "Night Geometries and the Garscadden Trains". Seither veröffentlicht A. L. Kennedy ihre Romane und Erzählungen unter ihren Initialen, genauso wie ihre Lieblingsschriftsteller E. E. Nisbett und J. R. R. Tolkien. Heute zählt Kennedy zu den erfolgreichsten zeitgenössischen europäischen Schriftstellerinnen.