„Die fünf Leben der Irmgard Keun“ D’Haus Uraufführung

Irmgard Keun mit Publikum auf runder Bühne – Uraufführung „Die fünf Leben der Irmgard Keun“

Von Jo Achim Geschke |

Fuenf Leben der Irmgard Keun

Claudia Hübbecker in Fünf Leben der Irmgard Keun / Foto © D Haus Melanie Zanin

Den Kopf leicht schief, mokant, die Augen voll Witz aber ohne Häme, führt sie dem Regisseur und den Darstellerinnen – die ja sie spielen sollen – immer wieder mal deren Unsinn vor: Claudia Hübbecker glänzt als Irmgard Keun der 70er in einer faszinierenden Inszenierung mit ausgezeichnetem Ensemble in einer gelungenen Hommage an die Schriftstellerin bei der Uraufführung von „Die fünf Leben der Irmgard Keun“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz.

Wenn Tabea Bettin sagt, ich kann das so nicht spielen, dann vergisst der Zuschauende leicht, was das hier auch ist auf der großen Bühne im Großen Haus: Ein Spiel mit Raum, Zeit, der Wahrnehmung.

Bettin spielt die Irmgard Keun in einem Vorabend Doku-Film über Irmgard Keun, dessen Dreharbeiten 1977 die unvermutet aufgetauchte Autorin Keun (Claudia Hübbecker)  mit teils sarkastischen, mokanten Bemerkungen, witzig intelligenten Richtigstellungen und Rückblicken auf ihr dramatisches, wechselvolles Leben begleitet.

Das Publikum ist Teil des Spiels mit Raum und Zeit:

Alle sitzen auf der runden Drehbühne auf weißen, einzelnen Stühlen, die dazwischen Raum lassen für die Schauspieler:innen, die an den Zuschauenden vorbeigehen, durch die Stuhlreihen, oder am Rand des Runds am nur leicht trennenden Vorhang vorbei. Und wenn Irmgard Keuns Reise in die USA ansteht, dann schwankt ein Teil des Bodens unter den (verblüfften) Zuschauenden. Und als schließlich der Vorhang aufgeht, und den Blick freigibt auf Keun/ Hübbecker in der zehnten oder 14ten Reihe des Zuschauerraums, da erlebt das Publikum eine neue Sicht auf Theater, auf Schauspiel: Keun als Zuschauende auf uns, auf die Zeit damals und auf das Heute. Keun war nach 1945 als Schriftstellerin zunächst nicht mehr so erfolgreich wie in der Weimarer Republik, die alten Nazis waren ja noch in Amt und Würden, erinnert Keun einmal.

Die Kontakte Keuns zu Autoren der Weimarer Republik werden deutlich, zu Alfred Döblin etwa, der Keun lobte und angeblich zum Schreiben brachte, oder Herrmann Kesten, dargestellt durch den hervorragenden  Thiemo Schwarz, oder der trinkende und umstrittene Joseph Roth (Raphael Germann) und vor allem „Jupp“ oder auch Johannes Tralow, Keuns erster Mann, glänzend komödiantisch- ernst von Rainer Philippi im Bademantel oder im Maleroverall gespielt, auch rauchend mit Keun unter der (echten) Aufschrift „Rauchen untersagt“.

Begleitet wird Keun auch von Darstellerinnen im geplanten Doku-Film wie im historischen Rückblick von Tabea Bettin, oder der Schauspiel-Studierenden Gesa Schermuly (Sophie und die Frau mit dem Koffer) sowie von Pauline Kestner. Die rennt als superblonde Odile herum oder als Junge Keun.

Berührend eine kleine Szene mit Kestner als Kellnerin in einem Café, in dem etliche vor Hitler Geflüchteten sitzen. Kellnerin Odile fordert die arme Keun am Cafétisch auf, mehr zu konsumieren, ein Café reiche nicht. Keun wartet noch auf das Geld des Verlags Querido. Odile hält Hitler „für einen abscheulichen Menschen“, aber

„…ich weiß, Sie haben nichts, aber wir haben es auch nicht üppig, verstehen Sie, Madame?“

Es wird Krieg geben, sagt Odile, und Keun soll besser nicht aus dem Exil zurückkommen.

Schreiben, Leben im Exil

Keun hat auch im Exil geschrieben, im belgischen Ostende oder in den USA, nachdem die Nazis sie verboten hatten, sie verfolgten. Sie war jedoch trotz Nazis nach Deutschland zurückgekehrt, hatte sich in Köln versteckt. Anklänge an die Künstler werden deutlich, die vor diktatorischen Regime wie in Belarus, Russland, dem Iran oder Afghanistan fliehen müssen, die noch vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Ein Text einer belarussischen Autorin Volha Hapeyeva über das Schreiben unter solchen Verhältnissen verdeutlicht das im Programmheft.

Für das großartige Ensemble und ein Stück, dass eine Schriftstellerin wie Irmgard Keun wieder ins Bewusstsein hebt, gab es zur Uraufführung langen Applaus und verdienten Jubel. Und dann musste sich das Publikum durch die geheimnisvolle und spannende Welt hinter der Bühne zurück ins Foyer führen lassen, allein hätte wohl niemand hinaus gefunden.

Nach der Premiere bat das D´Haus zur Lesung im Foyer:

„Das Kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun

Pauline Kestner, die Odile aus der Uraufführung, kommt die Treppe herunter in weißer Pelzstola, weißem Schlauchkleid der 20er Jahre und sehr blonden Locken. Es beginnt eine Lesung mit Klaviermusik (Yaromyr Bozhenko) aus dem Roman Keuns „Das Kunstseidene Mädchen“. Und obwohl das Publikum gerade erst eine begeisternde Uraufführung genossen hat, bleiben noch viele für die 90 Minuten der szenischen Lesung im Foyer sitzen.

Noch ist nicht klar, ob es im Spielplan an dieser Stelle stehen bleibt, oder vor dem Stück über Keun eingeplant wird. Die Akustik im Foyer ist allerdings nicht die Beste, auch wenn Pauline Kestner diese Hürde mit dem leichten Schwung einer Federboa meistert. Und sie hat allen Applaus hoch verdient.

Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“, so das Schauspielhaus, gehört zu den erfolgreichsten Romanen der Weimarer Republik und wird bis heute begeistert gelesen.

Mehr Infos, Termine der Aufführungen und Kartenbestellungen:

www.dhaus.de