In der Inszenierung von Stefan Bachmann in Koproduktion mit dem Kölner Schauspielhaus ( wo bereits Premiere war) wird der Roman von Rainald Goetz kongenial in der Fassung von Stefan Bachmann und Lea Göbel auf die große Bühne gebracht. Beim Jubel zum Schluss stieg auch Roman-Autor Rainald Götz in der bereits im Februar feuilletonweit beschriebenen „Bomberjacke“ auf die Bühne.
Beim Schreiben über diesen „Holthoff“ gerät einem oft der Name Middelhoff in die Tastatur: Goetz Roman von 2012 beschreibt im Kern den Finanzskandal um Thomas Middelhoff. Mein ehemaliger Kollege, Wirtschaftsjournalist Hagen Seidel, hat 2010 ein ausgezeichnetes, detailreiches Buch geschrieben über eine der größten Firmenpleiten Deutschlands, in dem Manager Middelhoff, Anlageberater Joseph Esch und auch „Karstadt Quelle“ vorkommen. (Hagen Seidel, „Arcandors Absturz, Wie man einen Milliardenkonzern ruiniert…“ Campus Verlag, 2010)
Selbsterkenntnislosigkeit
Über die Bühne tanzt so Johann Holtrop als ein Kernstück der Finanzwelt : Sinnentleerte Ichs, hochgradig narzisstisch gesteuerte Menschen im vom Geldmythos gesteuerten Wahn, alles erreichen zu können. Autor Rainald Goetz hat es in einem Interview mit Dramaturg Robert Koall formuliert: „Die Abwehr der Beschäftigung mit sich selbst, die möglichst perfekte Selbsterkenntnislosigkeit“ ist „in dieser Welt der Macher, der Wirtschaft“ ihr innerstes Zentrum. (Abgedruckt im ausgezeichneten Programmheft.)
Alle Rollen mit Frauen besetzt
In dieser Aufführung mit ihrer durchgehenden Choreographie (Sabina Perry) sind alle Rollen mit Frauen besetzt. Das schafft eine Distanz, die vor dem Klischee bewahrt, und die Entwicklung der (männlichen) Finanz-Pssyche umso klarer erscheinen lassen kann.
Melanie Kretschmann ist als Johann Holtrop der aufsteigende Finanzmanager, der den Konkurrenten Thewe (Ines Marie Westernströer) beiseite räumt und in den Suizid treibt. Ein Manger, der gnadenlos andre niedermacht, weil sie nicht die Leistung bringen, und dabei seine eigene überhöhte Person als Maßstab setzt. Holtrops Ich-Erzählung, er wäre lieber Schriftsteller geworden, erinnert aber eher an schreckliche deutsche Zeiten, als systematisch Mordende mit Inbrunst Musik hörten …
Holtrop, dessen Führungsmethoden allmählich stark kritisiert werden, wird zunächst von den Inhabern der (Bühnen-) Firma Assperg AG gefördert. Sehenswert Lea Ruckpaul als der achtzigjährige Berthold Assperg, wie sie über die Bühne stackert. Frackträger veralbern grandios Mitglieder im Aufsichtsrat und beim selbstredend mit einfachen Angestellten garnierten „Frühstück“ der Frau Assperg (Anja Laïs). Alle Schauspielerinnen stellen mehrere Personen dar. So hat Lea Ruckpaul in schwarzem Ledersakko ein Solo aus zappelndem Tanz und sprachlicher Artistik, das nach Szenenapplaus verlangt.
Holtrop verzockt sich, wird entlassen, fällt in eine Depression, kommt in eine – irgendwie sehr rückschrittliche- Psychiatrie. Fängt sich. Kommt auf Anraten eines Finanzberaters – großartig mit kölschem-Klüngel-Dialekt: Cennet Rüya Voß – zu Millionen und Reichtum in London. Vor 2008.
Aber das Ende ist unausweichlich, nicht nur in Richtung Finanzpleite. Holtrop stirbt. Pleite. Aus.
Großer Jubel und Standing Ovation für das großartige Ensemble, die Inszenierung und auch die Live-Musiker vor der Bühne.
Weitere Termine und Karten:
https://www.dhaus.de/programm/a-z/johann-holtrop-abriss-der-gesellschaft/
Besetzung
Berstner, Prütt, Frau Rösler, Bodenhausen Nicola Gründel
Johann Holtrop Melanie Kretschmann
Frau Därne, Kate Assperg, Kellner Anja Laïs
Sprißler, Frau Zegna, Brosse, Gabriele Heintzen Rebecca Lindauer
Berag-Assistentin, Leffers, Berthold Assperg, Dr. Hayel Lea Ruckpaul
Blaschke, Wenningrode, Mack Cennet Rüya Voß
Salger, Frau Barbarella Luana Velis
Thewe, Ahlers, Pia Holtrop Ines Marie Westernströer
Live-Musik Sven Kaiser, Zuzana Leharová, Annette Maye, Jan Felix Rohde
Regie Stefan Bachmann
Musikalische Einrichtung und Komposition Sven Kaiser
Bühne Olaf Altmann
Kostüm Jana Findeklee und Joki Tewes
Licht Michael Gööck
Choreografie/Körperarbeit Sabina Perry
Dramaturgie Lea Goebel, Robert Koall