Kleist, der zerrissene, der vielfältige, der Sprachkünstler: Sein Michael Kohlhaas erschien als Novelle in der endgültigen Fassung 1810. Fast jeder Erwachsene hat in den weiterführenden Schulen den Kohlhaas gelesen (lesen müssen).
Regisseur Mathias Hartmann hält sich an den Kleistschen Text, schon zu Beginn werden von Kohlhaas/ Christian Erdmann die ersten Zeilen der Novelle ungekürzt zitiert, in denen Pferdehändler Kohlhaas vorgestellt wird: „… einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. … Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.“ Die Inszenierung ist perfekt: Der immerwährende Wechsel von Erzähler zur Rolle gelingt nahtlos, die Novelle wird zum Theater. Und wo das „Rechtsgefühl“ des Kohlhaas abstürzt in die gnadenlose Selbstjustiz und eine Feuerbrunst, unterstützt die Musik und das bewundernswerte Bühnenbild von Johannes Schütz das Inferno mit minimalen, aber umso wirksameren Mitteln: Nie waren gestapelte Tische, nie nach oben ragende Tischbeine so erschreckend.
Bei Kleist scheitert das Recht des Kohlhaas zunächst an der Macht und dem Netzwerk der Oberen. Junker Wenzel von Tronka (Andrej Viorel Tacu) ganz in Rot, mit roten (Prada?) Schuhen, ist nicht interessiert, die Argumente des Kohlhaas ernst zu nehmen. Wohlgemerkt: Es ging materiell zunächst um zwei Rappen des Pferdehändlers, die am Hof des Junkers abgemagert und ohne Rechtsgrund zurück blieben. (Im Bühnenbild dargestellt durch zwei kaputte dunkelgraue Stühle!) Später wird der Junker über seine Beziehungen und einige Ränkespiele eine Klage gegen sich abwehren. Als schließlich Kohlhaas sein Recht beim Kurfürsten einfordern will, dies misslingt und seine Frau an den Folgen von Misshandlungen stirbt, sinnt Kohlhaas nicht mehr auf Recht, sondern auf Rache.
Nun lässt der rächende und Feuer legende Kohlhaas eine Spur der Verwüstung hinter sich. Beeindruckend dann schließlich die Szene, in der Kohlhaas den Martin Luther trifft, der ihm die Leviten ließt und eine Absolution verweigert. Sich aber dennoch für ihn einsetzt.
Dem Kohlhaas ist „Gerechtigkeit“ dann endlich doch widerfahren, der Junker wird verurteilt. Und Kohlhaas akzeptiert sein Todesurteil. Nicht ohne vor dem verhassten Kurfürsten von Sachsen einen Zettel mit der Prophezeihung über das Ende des sächsischen Fürstenhauses kurz vor seiner Enthauptung zu verschlingen und den Kurfürst so zerrüttet zurücklassend.
Lange anhaltender Beifall für die Schauspieler und deutlich hörbar auch für den Bühnenbildner Johannes Schütz, der seit 2010 auch Professor für Bühnenbild an der Kunstakademie Düsseldorf ist.
Aber ist es das richtige Stück in dieser Zeit ? Trotz der phantastischen Inszenierung und des brillanten Bühnenbilds fällt uns doch bei „Brandenburg“ und „Sachsen“ etwa anderes ein als die damaligen Kurfürsten. Beim Nachdenken über Gerechtigkeit und Recht entstehen eher Bilder von der Gewalt, die von Staats wegen gegen Flüchtlinge ausgeübt werden. Der Junker ist heute wohl eher der Präside von Ungarn, der Flüchtlinge hinter Zaun und Mauer abmagern lässt. Oder einer jener Politiker, die Tausende im Mittelmeer ertrunkene Frauen, Kinder, Männer wegen innenpolitischer Prioritäten hinnehmen.
Das Brandschatzen wird heute zum Einen ersetzt durch das verbale Zündeln in Sachsen, in Dresden und leider nicht nur in Brandenburg. Kohlhaas hat Wittenberg und Leipzig „an drei Ecken“ angezündet – heute brennen, von rechtsextremen Kriminellen angesteckt, Flüchtlingsunterkünfte. Und jene, die meinen, sie wären ungerecht behandelt, begehren nicht auf und fordern ihre Rechte im Rechtsstaat, ja nicht einmal als Kunden im Kaufhaus ohne Verkäufer. Viele, die aufbegehren könnten, machen es sich einfach und basteln sich ein einfaches Bild von früheren, so aber nie dagewesenen Zuständen der Gesellschaft.
Der Aufruf der Aufklärung, der in Kleists Kohlhaas zeitweise das Recht gegen die Herrschenden einfordert, droht heute zu verhallen. Zumindest so gesehen ist dieser Kohlhaas ein Beitrag zum Theater als Anregung und Ort des Diskurses, wie es Intendant Wilfried Schulz einmal formulierte.
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