„Jugend ohne Gott“ Premiere im Jungen Schauspiel

Nachdenken über Nazis von heute im Stück von 1937: Premiere „Jugend ohne Gott“

Von Jo Achim Geschke |

Jugend ohne Gott, Bühne und Ensemble /Foto David Baltzer Junges Schauspiel

Zivilcourage angesichts von Hetze gegen Migranten und Jagd auf Fremde. Jagd auf vermeintlich Fremde, die nicht ohne Angst anders sein dürfen. Chemnitz und mehr, Hitlergruß und Völkisches. „Es dreht sich um das Volksganze“, skandieren Schüler und heben den ausgestreckten Arm … Sie haben in ihren Aufsätzen Schwarze verächtlich gemacht – und als der Lehrer protestiert: „Das streich ich durch“, sagt einer der Schüler: „Wenn das einer im Radio redet, darf ein Lehrer das nicht streichen“. Fünf Schüler_innen, die wegen der Gleichmacherei in Uniformen mit Armbinden stecken, stehen auf schwankender Bühne in Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ und zeigen, wie Konformität, Anpassung, Mitläufertum, Rassismus aufkommt und doch noch überwunden wird. Ein Stück, das Horváth 1936 schrieb, und das in dieser Inszenierung im Jungen Schauspiel an der Münsterstraße kaum aktueller sein könnte.

Die zwei Schüler und zwei Schülerinnen tragen nicht mal Namen, sind nur mit Buchstaben wie „N“, „Z“ oder „T“ bezeichnet, der Lehrer heißt einfach Lehrer. Sie schlüpfen alle in mehrere Rollen, die durch minimale Änderungen ihrer Kleidung gekennzeichnet sind. Sie alle agieren auf einer aufgebockten, quadratischen Bühne, die sich in alle Richtungen neigen kann, je nachdem, wie sich die Schauspieler_innen verteilen (Bühnenbild und Kostüm Iris Kraft) . Je nachdem, wo mehrere oder einzelne stehen, neigen sie die Bühne, müssen für die Balance sorgen – Gemeinsinn, der in ihren Rollen als uniformierte Schüler_innen fehlt.

Regisseur Kristo Šagor bearbeitete den Text von Horváths und hält sich stark an ihn. Für den Regisseur ist aber die Nähe des Stücks zum Heute klar, und Zitate im (wieder Mal ) hervorragenden Programmheft belegen das: Die Nazis von damals und die Neuen Rechtsextremisten von heute diskriminieren Geflüchtete mit Eigenschaften wie „kriminell“, und in den unsäglichen Talkshows und in einigen Print- und Online-Medien wird über Geflüchtete diskutiert, statt die Verleumdungen, die Hetze und Ideologie der Neuen Rechten in Frage zu stellen.

 

Die Handlung spielt in Nazideutschland von 1936. Der Lehrer (Thomas Kitsche) gibt Aufsätze zurück und widerspricht den Schülern, „Schwarze sind doch auch Menschen“. Da beschweren sich die Eltern, auch die Schüler wollen nicht mehr von ihm unterrichtet werden. Es ist eine Jugend ohne Gott, klagt der Lehrer. Doch dann gehen sie alle in ein paramilitärisches Zeltlager, mit Feldwebel (Paul Jumin Hoffmann, der auch Schüler „N“ spielt), Trommelgerassel und Vorfreude aufs Schießen. (Dieser Drill könnte schärfer inszeniert sein, manche Schüler*innen werden da wohl eher an Sportunterricht denken.) Schüler „Z“ zweifelt, schreibt Tagebuch. Als ein Fotoapparat und anderes verschwindet, wird gleich eine Räuberbande verdächtigt.

Schüler „Z“ (Überzeugend: Jonathan Gyles) trifft im Wald auf Eva (herausragend: Selin Dörtkardeş), die Anführerin einer in Armut lebenden Räubergruppe. Sie verlieben sich. Der Lehrer bricht das Kästchen mit dem Tagebuch von „Z“ auf … aber Schüler „Z“ verdächtigt „N“. Als dieser “N“ nicht mehr ins Lager zurück kehrt, tot im Wald gefunden wird, wird Eva, „das verkommene Mädchen“, verdächtigt. Erst im Prozess steht der Lehrer zu seinem Fehlverhalten, und Schüler haben den Mut, auch die Wahrheit zu sagen. Und es gibt, so eine hoffnungsvolle Wendung, Schüler_innen, die nicht marschieren wollen. Eva verheimlicht zunächst Beobachtungen um den Tod des Schülers N. Erst als im Prozess der Lehrer die Wahrheit sagt, schildert auch Eva das Geschehen. Warum nicht früher? „Weil der Lehrer jetzt die Wahrheit gesagt hat.“

Minutenlanger verdienter Applaus für die jungen Schauspieler_innen in der ersten Premiere der neuen Spielzeit.

Dringend zu empfehlen ist das Programmheft, mit Zitaten u.a.von Sebastian Haffner, Harald Welzer oder Albert Einstein.

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Jugend ohne Gott, faschistischer Gruß / Foto David Baltzer Junges Schauspiel