Der Zwang zu einer „Kulisse to go“, als mobile Stätte der Inszenierung, hat hier durch Bühnenbildnerin Irene Ip eine Entsprechung der drei behandelten Religionen: Drei mal drei Sektoren, wie die drei Religionen, bilden durch Vorhänge abgetrennt die ausgezeichnete mobile Bühne. Die Vorhänge dienen zugleich als Fläche für die Video-Projektionen. So brennt plötzlich der Vorhang an einer Seite, das Feuer breitet sich aus – es ist jenes Inferno, aus dem der Templer Recha, die Tochter des Nathan, gerettet hat. Das besondere an diesen Premieren in drei Stätten der Religion: Hier läuft über der Bühne der Text sowohl in englisch wie in arabisch mit.
Und während der Sultan (Konstantin Lindhorst) und ebenso Nathan (Jan Maak) meist eher die ruhige Vernunft verhalten spielen, wirbelt Recha (Cennet Rüya Voß) als junger, verliebter, aufgeregter Teen zwischen den Vorhängen herum. Voß hatte schon im „Faust to go“ als Gretchen begeistert. Begleitet ist sie von ihrer christlichen Erzieherin Darja (Claudia Hübbecker), die zwischen Selbstzweifeln und kluger Taktik pendelt.
Sultan Saladin (Konstantin Lindhorst) erscheint zu Beginn mit blutiger Schürze in einer Videoprojektion, bricht aber die Hinrichtung des Tempelherrn ab. Danach erscheint er in lockerer Kleidung eher als aufgeklärter Muslim. Nimmt man etwa die Geschichte der Mauren in Spanien, die Christen durchaus tolerierten (so lange sie Abgaben bezahlten), verweist dies ja auch auf den toleranten, aufgeklärten Islam, dem Europa durchaus vieles an Wissenschaft und Kultur zu verdanken hat. Lindhorst gibt dem Sultan jene Lässigkeit und Modernität, die durchgehend glaubwürdig bleibt.
Der junge Templer (Jonas Friedrich Leonhardt) startet als unwirscher Christ, der zwar vom Sultan begnadigt wurde. Aber weiter zunächst seiner christlichen Intoleranz frönt: „Mein Gott ist der richtige“. Und auch mit dem Mädchen Recha, das er gerettet hat, zunächst nichts zu tun haben will, weil sie vermeintlich Jüdin ist. Der schließlich aber furios verliebt herum tanzt.
Die Schlüsselszene, Lessings „Ringparabel“, kommt durch Sittah, die Schwester des Sultans, zustande (Florenze Schüssler). Die muslimische Frau ist, wie in vielen muslimischen Häusern hinter der Haustür, gerade jene, die den Überblick über die Finanzen hat. Sittah hat sogar lange Zeit den Etat des Sultans aus eigenem Portfolio bezahlt. Sie schlägt ihm vor, sich Geld beim reichen Juden Nathan zu leihen.
Zähneputzend, lässig in goldenen Turnschuhen, empfängt Sultan Saladin Nathan.
Nathan hat schon zuvor nicht an seine Mitspieler, sondern zum Publikum gewandt, Toleranz angemahnt: „“Wir haben unser Volk nicht ausgesucht“. Jetzt spricht er die Ringparabel halb zum Publikum und zum Sultan. Und hat ihn schließlich ja überzeugt: „Der Mann hat Recht.“
Toleranz setzt die Erkenntnis voraus, dass keine Religion einer anderen ihr Recht zu glauben absprechen kann oder sich als höherwertig aufspielt. In diesem „Nathan to go“ ist der muslimische Sultan derjenige, der den Sinn der Ringparabel begreift, die christliche Religion als gleichberechtigt anerkennt. Heute stehen dem Zuschauer sogleich Begriffe wie „Leitkultur“ und die ausschließliche Betonung auf das „christliche Abendland“ vor Augen. Da passt in der Inszenierung durchaus der gnadenlose christliche Patriach, der den Sultan ausspionieren lassen möchte, ja ein Attentat auf ihn plant. Andreas Grothgar kommt als Patriarch ganz jetztzeitig im Auto als einintoleranter Gnadenloser in der Videoprojektion daher. Aber auch der gnadenlose Anspruch fanatischer und rückschrittlicher Muslime ist uns heute leider sehr präsent.
Und schließlich kommt es in diesem Stück, das wohl an jeder Schule gelesen wurde, zur Auflösung im Sinne der Aufklärung: Eigentlich sind alle miteinander, trotz unterschiedlicher Religionen, verwandt und verbunden. Aber Lessing lässt es ja nicht bei der optimistischen Aufklärung: Während die anderen freudig ihre Verbundenheit feiern, bleibt der Jude Nathan allein zurück. Es gab eben auch im 19. Jahrhundert einen Antisemitismus, auf den Lessing deutlich anspielt.
Langer, sehr verdienter Applaus für die mitreißenden Schauspieler_Innen, das Bühnenbild und die Regie von Robert Lehninger. Eine Inszenierung, die mit einem Dreiklang aus hervorragendem Theaterspiel, Videoinstallationen und Bühne begeistert – und nachdenklich macht.
(Auto Jo Achim Geschke)
Die Premierenserie begann am 13., 16. und 23. Januar in Kooperation mit der Gemeinde der koptischen Christen, der Jüdischen Gemeinde sowie dem Islamischen Kulturzentrum Düsseldorf (Bosnische Moscheegemeinde) und dem Kreis der Düsseldorfer Muslime (KDDM).
Weitere Aufführungen in der Freizeitstätte Garath (7.2.) und in der Christuskirche Oberbilk (16. und17.2.) sowie unter www.dhaus.de
Hinweis des Schauspielhauses: Wer verfügt über einen größeren Raum (ab ca. 100 Zuschauer) und möchte »Nathan (to go)« zu sich einladen? Gerne informieren wir Sie umfassend und klären gemeinsam, ob die technischen Voraussetzungen herstellbar sind. Bei Interesse senden Sie bitte eine E-Mail an das Künstlerische Betriebsbüro unter: kbb@duesseldorfer-schauspielhaus.de