Die Scheinwerfer der Bühne beleuchten den Saal, als Tessa Ensler (Lou Strenger) aufritt, von Beginn an ist klar: Die Zuschauer sind Teilnehmende, sind jene, die den ersten Anschein beurteilen werden. Auch wenn auf der Bühne eine Reihe von Kino- oder Theater-Sesseln eine abstrakte, allgemeine Menge Zuschauer:innen andeuten. Lou Strenger schafft in diesem Ein-Personen-Drama, das von der Schauspielerin immens viel fordert, die Wandlung der erfolgreichen Juristin zur verletzten, verunsicherten Frau vor Gericht und dem Rechtssystem schlüssig darzustellen.
Anscheinbeweis - prima Facie
Juristisch ist ein Anscheinbeweis einer, der nach Lebenserfahrung einen typischen Geschehensablauf als richtig annehmen lässt. Die Prozessgegner können allerdings dagegen halten, dass es sich nicht um einen typischen Ablauf im fraglichen Geschehen handelt.
Es ist also eine ethisch moralische Frage, eine von den gesellschaftlichen Verhältnissen geprägten Urteils-Meinung. Egal, ob im angelsächsischen Rechtssystem oder im Deutschen.
Lou Strenger, am D Haus schon bekannt aus „Cabaret“ und „Dreigroschenoper“, spielt die Tessa Ensler zunächst mit überbordender Agilität: Sie hat sich aus einer Vorstadt im Jura-Studium gegen reichere Söhne und Töchter auf einer Eliteuni durchgesetzt und berichtet nun, wie sie – „Bang“ –in einem Prozess die Angeklagte verunsichert hat, den Gegenbeweis antritt und – Bang – gewinnt. Es ging und geht in ihren Prozessen um sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen.
Rechtsanwältin Ensler / Strenger schildert auch, wie sie mit dem Arbeitskollegen in ihrem Büro flirtet, den sie attraktiv findet, wie sie mit ihm schläft und schließlich in seiner Wohnung, vom Wein betrunken, nicht mit ihm schlafen will, aber von ihm vergewaltigt wird.
Zwei Jahre warten
Die selbstsichere Rechtsanwältin Ensler / Strenger steht plötzlich buchstäblich im Regen da, und bar jeder Selbstsicherheit muss sie sich fragen: Kann sie gegen den Mann, der einen reichen Vater und teuren Anwalt hat, schlüssig die Vergewaltigung beweisen – prima facie.
Lou Strenger schafft es auf der Bühne mit den Kino-Sesseln, diese plötzliche Unsicherheit der ehemals erfolgreichen Frau sichtbar zu machen.
Sie muss mehr als zwei Jahre auf den Prozess warten, die quälende Wartezeit erscheint auf der Bühne als der Ablauf der Zahlen bis mehr als 730: Auch das eine Anklage an das Rechtssystem.
Suzie Miller hinterfragt in Prima Facie dem ersten Anschein nach (juristisch prima facie) durchaus ihren eigenen früheren Beruf als Juristin. Aber es ist eben mehr:
Die Frage nach Gerechtigkeit, und die Frage warum Frauen in Prozessen wegen sexueller Übergriffe und Vergewaltigung benachteiligt sind: „Staatsanwalt, Richter, - alles Männer“ sagt Ensler / Strenger einmal. Selbst wenn dort Frauen sitzen: Die Klägerin muss schlüssig beweisen, dass die Vergewaltigung stattfand.
Es reicht eben nicht, dass die Frau „Nein“ sagt.
Das Stück von Suzie Miller fordert die Schauspielerin, die eineinhalb Stunden alleine auf der Bühne agiert, Höchstleitung ein. Aber das Stück ist auch eine Frage, eine Aufforderung, auch nach der Metoo-Debatte und den bereits vorhandenen Veränderungen im Strafrecht erneut über die diesen teil des Rechtssystems nachzudenken.
Jubel und Standing Ovations vom Premierenpublikum für die hervorragende Lou Strenger und die Inszenierung.
Weitere Termine und Kartenbestellung unter
Über Suzie Miller:
https://www.kiepenheuer-medien.de/autorinnen/de/showA?aid=864
Besetzung
Tessa Ensler Lou Strenger
Regie Philipp Rosendahl
Bühne und Kostüm Esther Bialas
Komposition Marco Mlynek
Sounddesign Heiko Schnurpel
Video Tim Deckers
Licht Jean-Mario Bessière
Dramaturgie Janine Ortiz
Weitere Termine :
Do, 07.12. / 19:30 - 21:00
Schauspielhaus — Großes Haus
Sa, 23.12. / 19:30 - 21:00
Sonderpreis 2
Schauspielhaus — Großes Haus
Mo, 08.01. / 19:30 - 21:00
Abo Mo
Schauspielhaus — Großes Haus
So, 21.01. / 16:00 - 17:30
Schauspielhaus — Großes Haus
Fr, 08.03. / 19:30 - 21:00
Frühbucher, Abo Fr
Schauspielhaus — Großes Haus