Möbel aus den 60ern und 70ern, eine Hausbar gehört dazu, auf dem Sockel eine Art Radio-Studio, das Steffi Neu (WDR) nicht reichen würde, eine renovierungsbedürftige Couch, davor ein Ständer mit Langspielplatten, der sichtbare Titel „Schuld und Sühne.. gelesen von Gert Westphal“ - das ist wirklich das Hörspiel von 1948. Auch Raskolnikow (Moritz Klaus) trägt mit Cord-Jackett und Cordhose Klamotten aus den 70ern.
Mit-Autor und Musiker Clemens Sienknecht eröffnet das Schauspiel mit Trommelwirbel und Gitarre. Die Mitspieler:innen machen mit mindestens einem Instrument Musik und singen, so spielt Friedrich Paravicini Cello, Orgel und E-Bass, Bertold Klein Klarinette. Musik ist ein wichtiger Teil dieser Show. Genauso wie die Schallplatte, die auf dem Plattenspieler liegt.
Die Gruppe macht eigentlich eine Radiosendung- einschließlich eines öfters eingespielten Werbeblocks: Keine Werbeblocks, sagt allerdings Sprecher Raphael Rubino, „für unsere Hörer“, dann kommt gesungene Werbung vom Optiker Fleischmann … Aber nachdem die Erkennungsmelodie vom alten „Stahlnetz“ (von 1958 bis 1968) ertönt- für die Jüngeren: In Etwa ein Vorläufer des späteren „Tatort“ – sitzen alle auf der Couch. Und hören dem Text der Schallplatte zu, die schon mal hängt – was die Schauspieler:innen nachahmen – oder zu schnell läuft – auch das wird sprechend verdeutlicht.
Barbara Bürk und Clemens Sienknecht haben keine Scheu, den berühmten Stoff mit Radiojingels zu unterlegen. Auch Raskolnikow / Moritz Klaus macht da mit. Moritz Klaus gelingt es, wie dem ganzen Ensemble, nie in flachen Klamauk abzurutschen, den Wechsel von lustiger Ironie und ernsthaften Zweifeln an Moral und eigener Person darzustellen.
„Bei uns Weltliteratur von Rang“
Die Geschichte von „Verbrechen und Strafe“, wie die heutigen Übersetzungen des Titels heißen, wird im Wechsel mit Radio-Sendungen erzählt: „Bei uns Weltliteratur von Rang“ unterbrochen von „Kuschelrock“, Songs von Barbara Streisand oder „Petite Fleur“ stilecht auf der Klarinette.
Und Thiemo Schwarz glänzt mehrfach mit perfekt ausufernden Tanzeinlagen und erntet Szenenapplaus. Die Tänze bringt das ganze Ensemble mit 70er-Jahre-Show-Eleganz auf die Teppiche.
Die Handlung und die Werbepausen
Die Handlung des teils in Wiesbaden entstandenen Romans von mehr als 600 Seiten: Der junge Studierende Raskolnikow meint, er gehöre zu jenen, die sich zur Rettung der kaputten Welt über die Moral und Gesetze erheben können. Da er pleite ist, geht er öfters zur Pfandleiherin. Die ist raffgierig, zahlt wenig, und Raskolnikow beschließt, sie umzubringen, sie ist ja nichts wert, aber er. Nachdem er sie nachts erschlagen hat, kommt auch deren Halbschwester dazu, die er auch erschlägt. Fortan quälen ihn trotz abgehobenem Elitedenken Zweifel und Schuld.
Damit es nicht zu ernst bleibt, setzen die Radiomacher ein: “Diese Mordserie wird ihnen präsentiert von Waschbär, so weich…“
Die Absurdität von Radio-/ Fernseh-Werbung vorgeführt in wenigen Sekunden.
Nebenhandlungen sind etwa die geplante Heirat seiner Schwester, die nicht aus Liebe, sondern wegendesguten Rufs heiraten will, und gegen die Raskolnikow Sturm läuft. Die Tochter des Säufers Marmeladow (Nadine Schwitter als zarte Sonja), der stirbt, prostituiert sich für die Familie, und bleibt schließlich bei Raskolnikow.
Raskolni-Pop
Nicht zu vergessen: Alles immer vom Radio unterbrochen, etwa vom “Raskolni-Pop“. Dabei glänzt auch Raphael Rubino als Sprecher ebenso wie als Freund von Raskolnikow, oder als fieser Bösewicht.
Nachdem der Untersuchungsrichter Petrowitsch (auch Thiemo Schwarz) mit ihm redet und andeutet, dass er Raskolnikow für den Doppelmörder hält, zweifelt Raskolnikow an sich („Ich bin eine Laus“) . Schließlich bringt ihn die treue Sonja dazu, die Morde zuzugeben. Er bekommt seine Strafe.
Alles selbstredend unterbrochen mit Radiowerbung, Songs und Tanzeinlagen, „auch morgen wieder“, sagt der Radiosprecher.
Und dann packen alle ihre Instrumente ein, nehmen wie Raskolnikow die Cord-Jacke vom Haken, und gehen.
Nach vergnüglich-nachdenklichem Abend langer Jubel für Schauspieler:innen und für das ganze Ensemble um die Autor:innen Barbara Bürk und Clemens Sienknecht.
Besetzung
Rodion »Rodja« Raskolnikow Moritz Klaus
Semjon Marmeladow / Porfirij Petrowitsch Thiemo Schwarz
Katerina Marmeladowa / Sofja »Sonja« Marmeladowa / Awdotja »Dunja« Raskolnikowa Nadine Schwitter
Peter Lushin / Aljona Iwanowna (Pfandleiherin) Clemens Sienknecht
Dimitrij Rasumichin / Arkadij Swidrigailow Raphael Rubino
Pulcheria Raskolnikowa Nadine Schwitter/ Clemens Sienknecht/ Thiemo Schwarz
Nastasja / Lisaweta / Ilja Petrowitsch (Inspektor)Berthold Klein
Fjodor Parawitschinsky (Cello, Orgel, Bass) Friedrich Paravicini
Regie Barbara Bürk, Clemens Sienknecht
Bühne und Kostüm Anke Grot
Licht Jean-Mario Bessière
Dramaturgie Beret Evensen
Weitere Termine im Kleinen Haus:
Mo, 15.05. / 20:00
Sa, 20.05. / 20:00
Mo, 22.05. / 20:00
Mo, 29.05. / 18:00
Mi, 14.06. / 20:00
Karten unter www.dhaus.de