Vielleicht liegt es ja am Versuch, dem Roman in Texttreue die Reverenz zu erweisen. Die Verwandten der Familie Popper, mit Joséphine, der Tochter von Serge, sind in den KZ der Nazis umgekommen. Nach dem die Großmutter gestorben ist, entschließt sich Tochter Joséphine, wegen der Familiengeschichte nach Auschwitz zu reisen.
„Eine Kudelmuddelkiste, unsere Familie“, meint Joséphine schon sehr früh.
Aber Joséphine (Sophie Stockinger) kann sogar ihren Vater Serge (als polternder Choleriker Andreas Grothgar) schließlich überzeugen. Jean (Thomas Wittmann) steht etwas entschlusslos und an der Kindheit hängend in der Mitte zwischen dem aufbrausenden Serge und der gemeinsamen Schwester Nana (Claudia Hübbecker), die mit Ramos Ochoa verheiratet ist. Den spielt Mehdi Moinzadeh ebenso wie - nach schnellen Kostümwechseln – die Paulette, die pflegt den todkranken Maurice (Rainer Philippi, auch als neunjähriger Luc).
Valentine (Cathleen Baumann) verlässt Serge. Die Geschwister streiten sich nicht nur deshalb heftig. Joséphine versucht bei Serge Interesse zu wecken für Auschwitz, den interessiert eher die Koch-Karriere von Nanas Sohn Victor, der übrigens nie auftaucht. Er wird später aber per Handy bei Serge klarmachen, dass er mehr an Fastfood interessiert ist. Trotz toller Koch-Hochschule. Serge leidet unter Kopfschmerz, erst recht, als der Besuch von „Judenrampe“ und „Sauna“ angesagt ist.
Die Bühne von Lydia Merkel beeindruckt vor allem in den Auschwitz-Szenarien: Als beleuchtete, kalte Rahmen fahren sie zurück und nach Vorne, sind Tore auf (drei) verschiedene Perspektiven und im Schlussbild eine kalte Wand.
Erinnerungen
Serges ärgerlicher Satz „Was ist, bleiben wir jetzt 1000 Jahre hier?“ ist in Deutschland kein Wortwitz, zu dem man lachen könnte. Und die Schilderung der Gleise in Auschwitz erinnert Düsseldorfer:innen an die Gleise in Derendorf, an der Mahnstätte, wo Tausende Juden Düsseldorfs in Waggons in die KZ transportiert wurden.
Doch die im Programmheft dankenswert beschriebene Vererbung von Traumata oder die Frage, wie Erinnerungen zwischen den Generationen weiter gehen – die kommt in der Theaterversion von „Serge“ nicht überzeugend durch.
In den Auschwitz-Szenen fällt der Satz „Wer braucht schon eine Familie?“, der aber dann doch durch die Ereignisse zurückgenommen wird- etwas. Denn der polternde Serge wird krank, ein gefährliches Aortenaneurysma und ein Schatten auf der Lunge. Die Geschwister kommen zusammen, als Serge zur detaillierten Untersuchung geht.
Fazit:
Das ausgerechnet beim Besuch in Auschwitz einer jüdischen Familie diese auseinanderfällt, weil sie eh schon am Rande des Zusammenbruchs war, ist ein Gag der französisch jüdischen Autorin Yasmina Reza, den eine Theaterfassung, oder ein Drehbuch, zuspitzen könnte.
Es gibt eine berühmte, äußerst kurze Rezension von Arno Schmidt zu Klopstock : Anbei ihr Manuskript zurück. (Original: "Sehr geehrter Herr! Anbei den Messias zurück.") So scharf kann es hier nicht zugehen - aber bei diesem „Serge“ wäre es wohl doch gut, den deutschen Text noch einmal zu überarbeiten und zuzuspitzen, den Witz am Vorbild der Französischen Polemiken oder von den vielen guten Jüdischen Sprach-Witzen zu schärfen.
Die Kunst der Schauspieler:innen aber ist allemal sehr sehenswert.
Weitere Termine und Karten : www.dhaus.de
Besetzung:
Jean Popper Thomas Wittmann
Nana Ochoa Claudia Hübbecker
Serge Popper Andreas Grothgar
Luc / Maurice Sokolov Rainer Philippi
Joséphine Popper Sophie Stockinger
Ramos Ochoa / Paulette Mehdi Moinzadeh
Valentina Dell’Abbate Cathleen Baumann
Regie Selen Kara
Bühne Lydia Merkel
Kostüm Anna Maria Schories
Musik Torsten Kindermann, Jan-Sebastian Weichsel
Licht Konstantin Sonneson
Dramaturgie Christopher-Fares Köhler