Umfassender Überblick über ein vielschichtiges medienkritisches Werk: Marcel Odenbach im K21
Mit der Ausstellung „Marcel Odenbach. So oder so“ (9.10.2021 – 9.1.2022) gibt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen einen umfangreichen Überblick über ein facettenreiches Werk, das auf 45 Jahre Zeitgenossenschaft zurückblickt. Marcel Odenbachs filmische Collagen, Installationen und Performances haben dazu beigetragen, dass Videokunst heute zentrales Medium der internationalen Gegenwartskunst ist. Parallel dazu ist in über vier Jahrzehnten ein umfangreiches Konvolut an Papierarbeiten entstanden, das von Zeichnungen über Konzeptpläne hin zu großen bildmächtigen Collagen reicht. Mit einer Auswahl von etwa 60 Video- und Papierarbeiten macht die Ausstellung im K21 deutlich, wie Odenbach Kunst und Kultur immer unter einer gesellschaftspolitischen Perspektive betrachtet und gleichzeitig auf die sinnlich-ästhetische Stärke von Bildern setzt.
Der in Köln, Berlin und zeitweise in Biriwa, Ghana, lebende Künstler Marcel Oden- bach (Jg. 1953) arbeitet seit 1976 mit Video. Sein künstlerischer Ansatz ist von einem starken Bewusstsein für die historischgesellschaftlichen und transkulturellen Themen der Zeit getragen. Mit den Mitteln von Collage und Montage und stets in Verbindung zur eigenen Biografie bearbeitet Odenbach in den Medien Video und Papier politisch und kulturell relevante Fragen.
Odenbach reflektiert die Bildpolitik des RAF- Terrorismus, setzt sich mit der Verdrängung der NS-Zeit und dem Wiederaufleben des Antisemitismus auseinander und hinterfragt Klischees des Fremden und Exotischen.
Er beleuchtet in seinen Arbeiten das Wirken und Nachwirken des europäischen Kolonialismus in Afrika, zum Beispiel untersucht er den Genozid in Ruanda oder das Fortbestehen kolonialer Strukturen im heutigen Togo.
Mit der ihm eigenen Balance aus subjektiver Perspektive, objektivierbarem Interesse an historisch-dokumentarischem Material und einer Faszination für die subtile Wirkung von Bildern gehört Odenbach zu den international stark beachteten Künstlern seiner Generation.
„So oder so“
Die in der Ausstellung versammelten Arbeiten verdeutlichen Odenbachs aufmerksamen Blick auf die Zeichen und Codes der Welt. Er reflektiert die Bildpolitik des RAF-Terrorismus in dem Videoband „Sich selbst bei Laune halten“, 1977, setzt sich in „As if memories could deceive me“, 1986, mit der Verdrängung der NS-Zeit auseinander und hinterfragt in der Videoskulptur „Das Schweigen deutscher Räume erschreckt mich“, 1982, Klischees des Fremden und Exotischen.
Im Laufe der 1990er Jahre, die Odenbach weitgehend in New York City verbringt, weitet sich sein künstlerischer Ansatz und richtet sich zunehmend an den politischen Erfordernissen des Globalen und Postkolonialen aus. Thematisch und technisch kulminiert die Neujustierung des Blicks auf die Diversität von Gesellschaft und Kultur in der großen Installation „Ach, wie gut, daß niemand weiß“, 1999. Nach der Jahrtausendwende erfolgen Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der technischen Mittel und Erzählweisen. Das Spektrum reicht von der epischen Schilderung des Genozids in Ruanda („In stillen Teichen lauern Krokodile“, 2002) bis zu dem mit Verfremdungseffekten und Topoi des Globalen gespickten Narrativ einer Indienreise („Disturbed Places—Five Variations on India“, 2007).
Die Doppelprojektion „Tropenkoller“, 2017, kontrastiert in einer eindringlichen Schilderung Archivmaterial aus der Zeit des Kolonialismus mit Bildern vom Fortbestehen kolonialer Strukturen im heutigen Togo. Das Thema Identität und die Affinität zum Kino kommen in der Video-Installation „Männergeschichten 1“ zum Ausdruck, die 2003 für die Istanbul-Biennale entstand. Die nicht nachlassende Relevanz der Auseinandersetzung mit den Themen NS-Geschichte und Antisemitismus führen Video-Arbeiten wie „Das große Fenster“, 2002, oder „Beweis zu nichts“, 2016, vor Augen. Die Themen finden auf unterschiedliche Weise Eingang in die großformatigen Papiercollagen („Familienfeier“, 2012, „Als mein Haus noch kein Dach hatte“, 2018, u.v.a.).
Durch die Ausstellung zieht sich Odenbachs Beschäftigung mit Musik, Rhythmus und Sound, die in seinen filmischen Arbeiten auf vielfältige Weise eine zentrale Rolle spielen.
Finden sich in den frühen Videoarbei-ten zahlreiche Musikzitate (von der Klassik über Film- bis zur Popmusik), sind die Videoinstallationen ab dem Jahr 2001 nahezu ausschließlich mit eigens komponiertem Sound ausgestattet, den weitestgehend der Musiker Richard Ojijo eigens für Odenbach entwickelt hat.
Erst zum vierten Mal wird in der Ausstellung im K21 Odenbachs bislang größte Mehrkanalinstallation:
„Ach, wie gut daß niemand weiß“, die er 1999 für den Kölnischen Kunstverein entwickelte, zu sehen sein. Die vierkanalige Videoinstallation mit ihrem auf die Gebrüder Grimm’sche Märchenfigur des Rumpelstilzchens zurückgehenden Titel gehört zu den Meilensteinen in der Entwicklung der Präsentation bewegter Bilder in den 1990er Jahren.
Vergleichbar mit den immersiven, monumentalen Videoinstallationen von Steve McQueen, Douglas Gordon, Isaac Julien, Sam Taylor Wood oder Eija Liisa Ahtila setzt Odenbach auf eine innovative partizipative Form der kinematographischen Rezeption, um eine unmittelbare, physische Wirkung der Themen Rassismus, staatliche Repression und Protest zu erzielen. Mit der visuell und akustisch von einem starken Rhythmus dominierten Installation und ihrem Bezug in die 1960er Jahre verband sich für Odenbach eine künstlerische und persönliche Bestandsaufnahme:
„Ich wollte wissen, wo ich stehe, wie ich heiße und wie ich damals geheißen habe und wo ich damals stand“, erklärte er 1999 in einem Interview zu der Installation.
Die Methode der Collage, das Auswählen, Kopieren, Schneiden, Aneinanderfügen, Verwenden und Wiederverwenden von Bildmaterial, die Arbeit mit Zitaten und Versatzstücken ist für Odenbachs Werk von den Anfängen bis heute kennzeichnend.
Im Hinblick auf den Film wendet Odenbach die Technik des Schneidens und Montierens gezielt auf die Faktoren Zeit und Bewegung an. Die Ästhetik der aus unterschiedlichsten Quellen montierten Bilder steht in der Tradition politischer Kunst im 20. Jahrhundert. Im Zentrum der Düsseldorfer Ausstellung steht die als Hommage an John Heartfield konzipierte Doppelprojektion „Wer Schneidet, der Leidet“, die 2019 als Auftragsarbeit für die große Heartfield-Retrospektive in der Berliner Akademie der Künste entstanden ist. Während sie in Berlin auf zwei frei- stehende Wände projiziert war und als Ausstellungsdisplay diente, wird die von einem feinen Soundgefüge begleitete Video-Installation im K21 als autonome Arbeit in der geschlossenen, schallgeschützten Black Box gezeigt. Sie bildet den Schlusspunkt – oder den Anfang – einer Präsentation von Arbeiten, die zu verschiedenen Lesarten einladen.
„So oder so“, der Untertitel, den Marcel Odenbach seiner Ausstellung im K21 gegeben hat, zitiert die letzte Strophe eines berühmten Gedichts von Thomas Brasch aus dem Jahr 1971 und erfasst treffend den retrospektiven Charakter der Ausstellung eines entschieden offenen Werks:
„(…)
Wer schreibt der bleibt
Hier oder weg oder wo
Wer schreibt der treibt
So oder so“
Kuratorin: Doris Krystof
Biografie:
Marcel Odenbach wurde am 7. Juli 1953 in Köln geboren und studierte von 1974 bis 1979 Architektur, Kunstgeschichte und Semiotik an der RWTH Aachen. Zusammen mit Ulrike Rosenbach und Klaus vom Bruch gründete er Mitte der 1970er Jahre in Köln die Produzentengruppe ATV (Alternative Television), die guerillaartig und mit den technologischen Möglichkeiten der Zeit ein alternatives Fernsehprogramm in die umliegenden Haushalte sendete. Im Verlauf der 1980er Jahre erfährt Odenbach als Videokünstler, auch international, zunehmend Beachtung (1984 Teilnahme an den Ausstellungen „Het lumineuse beeld“ im Stedelijk Museum, Amsterdam, und an „Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst“ in Düsseldorf, 1986 Einladung für einen Beitrag am Contemporary Art Television Fund, Boston, 1987 Teilnahme an der Documenta 8, Ausstellung im Centre Pompidou u.a.). Neben der künstlerischen Arbeit mit dem Medium Video entstehen ab etwa 1990 großformatige, in einer einzigartigen von Odenbach entwickelten Technik gefertigte Collagen aus Papier.
In den ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts realisiert Odenbach neben den technisch zunehmend elaborierten Collagen große kinematographische Installationen, mit denen er zahlreiche internationale Einzelausstellungen absolviert und vielfach an Gruppenausstellungen beteiligt ist.
Seit 2014 verbreitet die vom ifa (Institut für Auslandsbeziehung) organisierte Ausstellungstournee „Marcel Odenbach Stille Bewegungen | Tranquil Motions“ Odenbachs Werke weltweit (mit Stationen u.a. in Venezuela: Museo de Arte Contemporanéo de Caracas, Brasilien: Museu de Arte do Rio Grande do Sul Ado Malagoli, Porto Alegre; Indien, National Gallery of Modern Art, Mumbai). Einzelausstellungen richteten zuletzt die Kunsthalle Wien („Beweis zu nichts“, 2017) und die Kunsthalle Nürnberg („Es brennt“, 2020) aus. Seit 1992 ist Marcel Odenbach kontinuierlich als Professor für Videokunst in der Lehre tätig (Hochschule für Gestaltung am ZKM, Karlsruhe, Kunsthochschule für Medien, Köln, Staatliche Kunstakademie Düsseldorf, hinzukommen zahlreiche Workshops zur Videokunst auf der ganzen Welt) und hat großen Einfluss auf jüngere Generationen ausgeübt. 2021 wird Marcel Odenbach mit dem Wolfgang-Hahn-Preis ausgezeichnet. Vom 17. November 2021 bis zum 20. Februar 2022 werden die Schnittvorlagen erstmals in einer Ausstellung im Museum Ludwig präsentiert.
Eröffnungstag
Samstag, 9.10.2021 von 11 – 20 Uhr K21
Eintritt frei
Art Guides
11 – 16 Uhr, 18 – 20 Uhr
Workshops für Kinder
Workshop: Schau genau! (ab 5 Jahren)
11.30 – 13 Uhr
Aus unterschiedlichen Bildvorlagen mit Motiven aus der Natur entstehen vielfältige Colla- gen. Doch der Schein trügt, denn bei näherer Betrachtung verbergen sich in den Land- schaften Gesichter, Tiere oder Gegenstände, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind.
Teilnahme kostenfrei, Anmeldung erforderlich
Workshop: Mapping the box (ab 7 Jahren)
15.30 – 17 Uhr
In diesen Workshop wird dreidimensional collagiert. In einer Box werden Zeitungsaus- schnitte und Foliendrucke nebeneinander und hintereinander angeordnet, so dass jeder seine persönliche Bildergalerie erschafft.
Teilnahme kostenfrei, Anmeldung erforderlich
Kuratorinnenführung
Dr. Doris Krystof, Kuratorin der Ausstellung Anmeldung erforderlich
Ausstellungsgespräch für Studierende, Auszubildende und Schüler*innen (ab Sek. II)
Plattenrelease: Doppelvinylalbum mit Kompositionen von Richard Ojijo anlässlich der zwanzigjährigen Zusammenarbeit mit Marcel Odenbach 18 Uhr
Eintritt frei im Rahmen des Eröffnungstages
Begleitprogramm zur Ausstellung Art Guides
Samstags, sonn- und feiertags: 14 – 16 Uhr Jeden ersten Mittwoch im Monat: 16 – 20 Uhr
Kuratorinnenführungen
Sonntag, 10.10., 12.12., 9.1., 12 – 13 Uhr
Dienstag, 26.10., 9.11., 16.30 – 17.30 Uhr
Anmeldung erforderlich
Veranstaltungen Doris Krystof im Gespräch mit Marcel Odenbach
Mittwoch, 3.11., 20 Uhr,
Eintritt frei im Rahmen des KPMG-Kunstabends, begrenzte Teilnehmer*innenzahl „In stillen Teichen lauern Krokodile“ Symposium zu Geschichte und Gegenwart im Werk von Marcel Odenbach. Samstag, 4.12., 14 – 18 Uhr
Salon 21
Eintritt frei, begrenzte Teilnehmer*innenzahl
Film und Musik: Hans Nieswandt und Marcel Odenbach
Sonntag, 12.12., 16 Uhr
Salon 21
Eintritt frei, begrenzte Teilnehmer*innenzahl
„Ach, wie gut, daß niemand weiß “ Linklaters-Thementag für die ganze Familie
Sonntag, 7.11., 11 – 18 Uhr
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich
Einen ganzen Sonntag lang kostenfreie Workshops im K21.
Workshops für Jugendliche in den Ferien Soundtrack meines Lebens (10–12 Jahre) Freitag, 15.10., 10.15 – 16.15 Uhr
Anmeldung erforderlich
In diesem Workshop achten wir auf die Musik und den Sound in der Ausstellung von Marcel Odenbach. Mit diesen Infos seid ihr bereit für verschiedenste Sound- Bild-Experimente in der Medienwerkstatt. Daraus entstehen am Ende eure eigenen Soundtracks zu den Bildern der Ausstellung.
Krimi, Drama, Animations-, Kurz- oder Dokumentarfilm: Es gibt viele verschiedene sogenannte Filmgenres. Der Künstler Marcel Odenbach nutzt den Film, um damit Rauminstallationen zu erschaffen, in die man regelrecht eintauchen kann. Im Work- shop werden wir uns mit den Eigenarten der filmischen Formen vertraut machen und selbst nicht nur filmen, sondern die Filme auch schneiden und vertonen.
Entgelt: 24 Euro plus 6 Euro Materialkosten
Information zum Besuch des Museums (Stand 1.10.2021):
Für den Besuch der Ausstellungen und Sammlungsräume ist keine Anmeldung, keine Buchung eines Zeitfenstertickets und keine Vorlage eines 3G-Nachweises er- forderlich. Das Einhalten der geltenden Abstandsregelungen und das Tragen einer medizinischen Maske sind für die Dauer des Aufenthalts im Museum verpflichtend.
Für die Teilnahme an Workshops, Führungen und Veranstaltungen ist eine vorherige Anmeldung an service@kunstsammlung.de erforderlich.
An der Kasse des Museums ist die Vorlage eines der 3-Gs (geimpft, genesen, getestet) vor Besuch des Work- shops, der Führung oder der Veranstaltung verpflichtend. Für Schüler*innen ist die Vorlage eines Schülerausweises ausreichend. Während des gesamten Aufenthalts im Museum sind die allgemein gültigen Abstands- und Hygieneregeln zu beachten.