Die jungen Laiendarsteller und ihre Fragen : „Wenn wir die Working Class sind, wer sind dann die anderen über uns? Müssen die nicht arbeiten?“ Und: „Bin ich Oberklasse oder doch sogar Oberkassel?“
„Mein Name ist Kassiererin …. Hauptschüler…. Mein Name ist Rückenschmerzen….“
Und im Chor: „Wenn es Dir nicht gefällt, dann geh doch in deine Heimat.“
Sie hatten alle Jobs – im echten Leben. Einer war sechs Monate im Straßenbau. Eine hat Garderobe im Schauspielhaus angenommen. Eine war Packhilfe bei Lidl.
Und spätestens wenn in der Video-Projektion das kurze Interview mit einer Türkisch-stämmigen Frau überlebensgroß erscheint, wird klar, hier geht es um bundesdeutsche Wirklichkeit. Die 39-Jährige putzt, im Schauspielhaus. „Und ich studiere nebenbei Archäologie“, sagt sie lächelnd.
Es sind dargestellte „Migrationshintergründe“, die echten. Ein junger Mann berichtet von seiner Arbeit beim Saubermachen. Frage: „Wieviel Prozent Deutsche arbeiten da ?“ Fragendes Gesicht, lange Pause.
Dann: „Ein Prozent vielleicht?“
Die Darsteller:innen, allen voran der sehr präsente Sabri Spahija, oder Darja Fong oder Nadine Pitthan stolzieren hüftschwingend über die Bühne, à la GNTM, intonieren :“Wir machen jede Arbeit, wir sind kostengünstig, wir sind leicht einzuarbeiten …“ Weiter weg vom abgehobenen und verlogenen Model-Zirkus kann es nicht sein.
„Ich habe 150 Euro Corona-Bonus bekommen“, sagt eine Frau im Interview, „ aber Anerkennung …“ große viele Fragezeichen.
„Und dann kam der Applaus“ heißt es einmal mit Blick auf die Pflege.
Und die acht Darstellerinnen verdeutlichen das immer noch vorhandene deutsche Bildungssystem: Wer aus Familien mit wenig Geld stammt, Eltern Ausländer:innen sind, wird auf der Hauptschule landen.Denn dass Herkunft und Einkommen die Bildungs- und Berufschancen bestimmt, ist Fakt in Deutschland. Da braucht es – leider – keinen Klassenbegriff.
„Am schlimmsten ist, dass Kinder lernen, dass sie sich nur anstrengen müssen, um alles zu erreichen“, sagt einmal Anahit Gregoria.
Gedichte von Semra Ertan
„Wofür leben die Menschen ? / Für die Arbeit, / Die Liebe,
Die Bildung ?“… Immer wieder zitieren die Acht aus Gedichten von Semra Ertan. Die kam 1971 nach Deutschland, mit 15 Jahren. Ihre Eltern waren die damaligen „Gastarbeiter“. Semra Ertan schrieb mehr als 300 Gedichte. Sie schrieb an gegen die Diskriminierung der Arbeitsmigrant:innen, gegen Rassismus. Gegen die „Türken raus“ Parolen.
Auf der Bühne, über den acht Darsteller:innen, erscheinen die Fotos einer jungen Frau, waches Gesicht, Lachen …
Die acht auf der Bühne erzählen ihre Geschichte: Am 24. Mai 1982 übergießt sich die Dichterin Semra an der Simon-von-Utrecht-Straße in Hamburg mit Benzin und zündet sich an. Sie stirbt zwei Tage später an ihren Verletzungen.
Eine Straße soll nach ihr benannt werden, nicht nur da auf der Bühne.
„Der Rassismus ist nicht weniger geworden“, sagt eine.
„Widersprechen wir denen, die uns nicht wollen“, sagt eine andere.
„Wir sind nur acht, aber wir sind ein Anfang“, heißt es auf der Bühne.
Jubel und langer, langer Applaus für die acht Laien-Darsteller:innen des „Stadt:Kollektiv“ und Regisseur Bassam Ghazi mit seinem Team.
Die Darsteller:innen seien extra genannt: Philip Christ, Darja Fong, Florian Gaar, Anahit Grigorian, Jamal Ido, Nadine Pitthan, Khadija Rautenkranz, Sabri Spahija.
Weitere Aufführungen Do, 28.04., Fr, 20.05., Fr, 27.05. , 10.6. , jeweils im Kleinen Haus
Ich empfehle besonders das Programmheft.
Karten unter www.dhaus.de