Verblüffend: Melek Beril Sargut singt zu Beginn die ersten wuchtigen Sätze von Kafkas Text: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Gabriele Dittmar tritt auf, in einem schwarzen Käfer-Panzer und Fühlern, aber ihre Erzählung ist ganz heute, sie berichtet von den Schwierigkeiten mit der Osteoporose. Einschränkungen im Alter eben, Inga Flamang kommt gar mit zwei Krücken auf die Bühne, sichtbares Zeichen dafür, dass der Körper bei Krankheit oder im Alter nun mal ein anderer, leicht verwandelter ist.
Alle sieben kommen auf die Bühne, „Hallo, ich bin Gregor“, sagen sie nacheinander.
Auch die jüngeren Darstellerinnen berichten wie etwa Melek Beril Sargut von ganz realen Problemen mit ihrem Körper, wenn etwa ein Mädchen zu viel isst und nicht mehr so richtig beim Ballett mitmachen kann. Vor fünf Jahren hat sie aufgehört zu tanzen, aber kann sich doch ausgezeichnet tänzerisch bewegen.
Elena John spricht das Publikum direkt an, spielt mit den Vorurteilen, sie haben doch bestimmt gedacht, ich sei zu dünn, meint sie.
Warum Gendersternchen, das wird hier erfahrbar
Immer wieder kommt der Text Kafkas durch. Aber wirklich beeindruckend sind die Schilderungen von Erfahrungen der Darsteller*innen.
Er/ Sie hat mit 12 Jahren gewartet, wie sich seine/ ihre „Biologie“ entwickelt.
„Du bist14 und dein Oberteil wartet auf die Biologie“, sagt Theodor Pepper Meon Gatzka. „Du bist 20 und du bist in einem fremden Körper“.
Und während dieser intensiven Schilderung zieht sich der Darsteller ein T-Shirt nach dem anderen aus, bis das Tape über seinen zurück gedrängten Brüsten sichtbar wird, diese Tape, dass er nicht mehr sehen und fühlen will, er, der auf seine Operation wartet.
Und wieder wird klar, warum etwa Jan Böhmermann mit : „Meine Damen und Herren und alle dazwischen und außerhalb“ begrüßt.
Als einer der jungen Darsteller eine lange Kette mit dicken Kugeln zeigt und erklärt, kann einem doch der Atem stocken: Die geschätzt 50 Kugeln stehen für alle seine Krankenhaus-Aufenthalte und Untersuchungen wir etwa MRT , EKG oder EEG.
Alle Darsteller*innen kommen in einer Szene nach vorne an den Bühnenrand. Dort bieten sie den Zuschauer*innen grüne Äpfel an – ein Bezug zur Szene in der „Verwandlung“, in der der Käfer/ Gregor mit einem Apfel beworfen und verletzt wird.
Die wirklich intensiven Darstellungen der „Verwandlung“ und der Erfahrungen der einzelnen Darstellerinnen und Darsteller, die zwischen 22 und 68 Jahre alt sind, machen diesen Theaterabend zu einem beeindruckenden, lange nachwirkenden Erlebnis.
Langer Jubel und teils Standing Ovations für die wirklich sehr talentierten Laiendarsteller*innen und die Inszenierung des Stadt:Kollektivs.
Regisseurin Kamilė Gudmonaitė gehört zum Leitungsteam des Litauischen Nationaltheaters in Vilnius und gilt als eine der aufregendsten Regisseur:innen ihrer Generation. Mit Arbeiten, die sich mit Gesundheit, Gender und Generationskonflikten beschäftigen, hat sie sich auch international einen Namen gemacht. In ihrer ersten Inszenierung am D’haus kombiniert sie Kafkas Weltliteratur mit den Körpergeschichten der Spieler:innen.
Termine und Karten unter
https://www.dhaus.de/programm/a-z/die-verwandlung/
Besetzung
Mit Gabriele Dittmar, Inga Flamang, Elena John, Len Königs, Theodor Pepper Meon Gatzka/Leo Milo Matteo Näckel, Melek Beril Sargut, Adnan Zecevic
Autorinnen Dorle Trachternach, Kamilė Gudmonaitė
Regie Kamilė Gudmonaitė
Bühne und Kostüm Barbora Šulniūtė
Musik Dominykas Digimas
Choreografie Mantas Stabacinskas
Licht Christian Schmidt
Dramaturgie Birgit Lengers, Dorle Trachternach
Dank an Leo Milo Matteo Näckel für den Chortext.
Dauer
1 Stunde 15 Minuten — keine Pause