Zwei Frauen in einem Zimmer, das mit 70er-Jahre-bunten Möbeln glänzt und versteckten Gags wie Waschmaschine im Schrank und Bad mit Schiebetür. Das Paar spricht über den angekündigten Besuch des Kollegen und Direktors von Lehrerin Astrid. Die eindeutig jüngere Klara will nicht, dass er kommt, Astrid aber will den Chef in die Wohnung lassen, weil sie ahnt, um was es geht.
Direktor Wolfram erscheint im regennassen Mantel und zieht als erstes mal die Schuhe aus.
„Ich habe keinen Körpergeruch“, sagt Wolfram, was ihm später widerlegt wird.
Wolfram zitiert auch Shakespeares 18. Sonett („Shall I compare thee to a Summer’s day?...“ ) und prahlt mit seinen Kenntnissen, Astrid erwähnt kurz und trocken, dass sie Anglistik studiert habe, und Wolfram redet von „unterdrückten Männern“.
Klara war gegen den Besuch, aber Astrid meint, er habe sie vor Intrigen durch Kollege*innnen geschützt. Klara bleibt erst mal im anderen Zimmer. Der Kollege ergeht sich in eitle Selbstdarstellungen und dann Andeutungen. Als Klara erscheint, diesmal in Pumps und Glitzer-Hose, beginnt er sofort plump mit ihr zu flirten.
Im Verlauf des Abends wird Wolframs Vorstellung von Männlichkeit deutlich: Wenn Astrid seine Andeutungen nicht versteht, wird er laut, er brüllt. Es geht darum, dass der Vater von Ellen Babic meint, Astrid habe seine Tochter auf reinem Klassenausflug nach einem Besäufnis mit KO-Tropfen betäubt und verführt.
Perfide und misogyn verknüpft Wolfram das mit deiner Vorstellung, dass Astrid auch Klara so mit KO-Tropfen verführt habe. Er wolle sie vor dem vermeintlichen Urteil der Kolleg*innen und des Vaters beschützen. Aber es wird sehr deutlich, dass er durchaus mehr will, er will ein Verhältnis mit der lesbischen Astrid.
Die macht ihm sehr deutlich, dass sie aber so gar nichts von ihm will, und spricht von den Heften, in denen sie seine bisherig Übergriffigkeit dokumentiert habe.
Schöne Liebeserklärung
Klara allerdings schildert dann, dass sie die Aktive war, „ich habe den Anfang gemacht“,
dass sie schon mit 16 Jahren in Astrid verleibt war, die sich zuerst gegen eine Beziehung gewehrt habe. Als Klara schildert, wie sie Astrid gesehen habe, wird das eine schöne Liebeserklärung. Etwas später macht Klara gegen das Gerede von Wolfram deutlich, dass sie erst mit 18 Jahren bei Astrid eingezogen ist. Und schließlich übergießt sie den bereits verdattert dasitzenden Wolfram genüsslich, aber ruhig, erst mit Weißwein und dann mit Rotwein.
Wolfram dackelt mit nasser Hose ab. Klara aber ist immer noch misstrauisch gegenüber Astrid. Und geht – allerdings mit dem versöhnlichen Versprechen, wieder zu kommen.
Drei ganz hervorragende Darsteller*innen
Was bleibt nach zwei Stunden: Drei ganz hervorragende Darsteller*innen mit teils sehr spritzigen und witzigen Dialogen. Und die Erkenntnis, dass das Stück von Marius von Mayenburg zu viel auf einmal will: Machtmissbrauch darstellen, Mysogynie und Missbrauch von Kindern, Machtkampf eines Mannes, der damit zusammenhängt ….
Dass eine Frau mit einer viel Jüngeren zusammen lebt – die als 18 -Jährige zu ihr gezogen ist – kann in der heutigen Zeit eigentlich nur noch bei ganz Rechts fragwürdig sein. Zumal diese Konstellation bei Männern (älterer Mann, junge Frau) kaum Diskussionen auslöst.
Gerade der ungeheure Missbrauch von Kindern ist eine schwierige Aufgabe auf der Bühne, und dies gelingt im Stück auch nicht wirklich. Denn dass die Lehrerin ein junges Mädchen missbraucht haben soll, ist wohl nur ein Vorwand für den misogynen Direktor, um Macht über die Kollegin zu bekommen. Und das titelgebende Mädchen, die übrigens nicht auftaucht, ist mit 16 Jahren für Pädophile wohl schon zu alt. Und wenn so viele Menschen (Vater, Direktor, Kollegen) von diesem Verdacht wissen, wie in dem Stück, wäre die Lehrerin zumindest schon beurlaubt und könnte nicht mehr vom Direktor Wolfram (angeblich) geschützt werden.
Es gibt ja durchaus eine institutionelle Verharmlosung und Vertuschung von Kindesmissbrauch, wie sie mehrfach beispielsweise in Kirche und Schulen in den vergangenen Jahren zum Teil zumindest aufgedeckt wurden. Und für Lehrer*innen ist inzwischen längst klar, dass sie eine 16-jährige Schülerin nicht alleine mit auf ihr Zimmer nehmen dürfen.
Am Ende Jubel und teils stehende Ovationen für die Darsteller*innen und die Inszenierung.
Autor Marius von Mayenburg, der in Düsseldorf auch das Stück „Linda“ seit 2019 inszenierte, war ebenfalls bei der Premiere von Ellen Babic, das im Februar 2024 erstmals beim Berliner Ensemble die deutschsprachige Uraufführung erlebte.
Karten und Termine
https://www.dhaus.de/programm/spielplan/ellen-babic/1020/
Besetzung
Astrid: Claudia Hübbecker
Klara: Pauline Kästner
Wolfram: Florian Lange
Regie Anton Schreiber
Bühne Susanne Hoffmann
Kostüm Juliane Molitor
Licht Christoph Stahl
Sounddesign Marco Girardin
Dramaturgie Robert Koall
Dauer
2 Stunden — keine Pause