Ibsens Nora mit Carolin Cousin, Premiere im Schauspielhaus

Nora, ein Puppenheim im D Haus oder Sie müsste heute wieder gehen

Von Jo Achim Geschke |

Nora Ibsen D Haus

Nora Bühne, v.l. Luise Zieger, Caroline Cousin, / Foto © Sandra Then, D Haus

Diese Nora von Ibsen lebt von einer mitreißenden Darstellerin und einem hervorragenden Bühnenbild. An dieser Nora von Carolin Cousin lässt sich in rund 90 Minuten ablesen, wie sich eine Frau vom Klischee der funktionierenden Ehefrau langsam zu einer eigenständig denkenden Frau entwickelt, die ihren eigenen Weg gehen will. Die erst 24-jährige Cousin zeigt dabei in 90 Minuten fast ununterbrochen auf der Bühne schauspielerische Bestleistungen, mit immer mehr kleinen Veränderungen in Mimik, Körperhaltung und Gang hin zu der, die selbstbestimmt ihren Mann verlässt. Regisseur Felix Krakau hat mit seinem Team, diesem Ensemble und dieser Hauptdarstellerin eine außergewöhnliche „Nora oder ein Puppenheim“ von Ibsen inszeniert.

Ibsens Stück von 1879 hieß zunächst „Ein Puppenheim“, und das Bühnenbild nimmt das auf: Ein großer Rahmen mit einem Ausschnitt in der Mitte (auch gleichsam der Vorhang), der gleicht einem Blick in ein Zimmer dieses Puppenhauses. Zu Beginn zeigen sich Rahmen und Vorhang mit weißen Wolken vor blauem Himmel. Florian Schaumberger lässt als Chef für Bühne, Video und Lichtkonzept den Rahmen zeitweise in düsterem Rot, in grellen Farben oder in starkem Violett aufscheinen. Es gibt nur ein Zimmer, in dem sich Nora und die anderen bewegen, mit einem Fenster, das mal den Himmel zeigt oder mal verdeckt ist. Nur ein Schmetterling, ein Kaktus, eine Stehlampe sind die einzigen wechselnden Möbelstücke. Die farbige Beleuchtung verändert die Stimmung. Erst im Schlussakt wird das Zimmer in gewohntem weiß ausgeleuchtet.

Die Farben sind knallig, teils qietschbunt, auch bei den Kostümen. Nora steht da mit altrosa Klamotten, teils rosa mit rotbunten Knöpfen. Ihr Mann Torvald Helmer, Rechtsanwalt und Bankdirektor, erscheint mit kunstledernem schwarzem Anzug mit auffallenden Knöpfen, Noras Freundin Kristin,  „Frau Linde“,  in eher grellen Kunststoff-Klamotten (Darstellerin Luise Zieger ist übrigens Studierende im Schauspielstudio des D‘Hauses) . Regisseur Krakau schafft mit dieser Konstellation eine gewissen Distanz zu dem Stück des Naturalismus, holt es mit dieser Farbigkeit in die Medien-Welt von heute.   

Die perfekte Frau des Hauses

Nora ist zunächst die perfekte Frau des Hauses, Gesten und Haltung vermitteln klischeehafte, distanzierte Freundlichkeit. Ihr Mann (überzeugend Sebastian Tessenow) nennt sie Lerche, Singlerche, ja Eichhörnchen. Klar ist, sie ist für ihn als Frau nicht ganz ernst zu nehmen. 

Nora sagt zu ihrer Freundin Frau Linde/ Christine, wie schön es ist, immer Geld zu haben, ihre Freundin hat allerdings keins. Sie möchte, dass Nora ihr einen Job bei ihrem Mann als Direktor der Bank verschafft.

Und dann erzählt Nora, wie sie sich Geld verschafft hat bei einem Freund, damit ihr kranker Mann sich monatelang mit ihr und den Kindern in Italien erholen konnte. Ihrem Mann aber hat sie gesagt, dass das Geld von ihrem Vater ist, der kurz darauf verstarb.

Auftritt sodann von Rechtsanwalt Krogstad (bestens Kilian Ponert mit zwei steifen Aktentaschen), der ihr damals das Geld geliehen hat. Und der zunächst andeutet, dann fordert, dass Nora ihm einen gehobenen Job bei ihrem Mann verschafft. Krogstad erpresst Nora, will schließlich einen Brief an Torvald schicken, und ihn aufklären, dass Nora für den Schuldschein  die Unterschrift ihres Vaters gefälscht hat.

Es kommt nach einem Fest, für das Nora mit ihrem Mann wild tanzen übt, was der gar nicht gut findet, zum dramatischen Ende, bei dem ihr Mann erfährt, dass Nora eine Unterschrift gefälscht hat. Was ihrem Mann im Falle einer Anklage die Karriere ruinieren würde.

Einzig der Doktor, der todkrank ist (Josha Balta), sieht sie als Person, als Frau, gesteht ihr schließlich, dass er sie liebt.  

Nora sieht ihre Tat, ihrem Mann mit dem Geld und der Reise das Leben zu retten, als richtig an. Ihr wird aber klar, dass sie so nicht weiter leben kann.

Eine andere Rolle der Frau in der Gesellschaft

Ibsen hat zwar geleugnet, dass sein Drama ein Plädoyer für die Freiheit und Gleichstellung der Frau sein soll. Ist es aber. Das „Puppenheim“, so der ursprüngliche Titel, reiht sich ein in literarische Werke von Flaubers Madame Bovari (1856/ 18557) bis zu Fontanes  „Effi Briest“ (1895), die einen andere Rolle der Frau in der Gesellschaft formulieren und einen Ausbruch der Frau aus den Fesseln der gesellschaftlichen Normen. Ibsens Stück wurde denn auch 1880 in Hamburg mit Rücksicht auf die damaligen starren Auffassungen umgeschrieben, Nora blieb damals bei Mann und Kindern.

Nora müsste nochmals gehen

Nora wird also gehen. Sie zögert durchaus – weil sie nicht weiß, was kommt.

 Aber :„Ich muss dahinter kommen, wer Recht hat, die Gesellschaft oder ich.“

Wenn „Nora“ gegangen ist, schreibt Dramaturg Koall im Programmheft, dächte sie vielleicht, dass das Stück kein Skandal mehr wäre wie damals, 1879. „Dass aber der Skandal darin läge, dass Ibsens Menschenbeschreibungen noch gelten.“

Und dass heute wieder, muss man ergänzen, im Umfeld von Trump und auch der AFD junge Frauen mit oder ohne Schneckenfrisur in Internetmedien davon schwärmen, dass die Frau zu Hause sein und kochen und Kinder versorgen und für ihren Mann da sein soll. Nora könnte heute sehen, dass die Fontanes und Ibsens das Frauenbild der 1890er Jahre beschrieben,  welches aber heute im Sumpf der 1950er Jahre-Ideologie wieder in Videos und Texten der Internet-Medien aufersteht.

Und Nora würde nochmals gehen.

Langer langer Jubel für das Ensemble und die Crew dieser Inszenierung.

Kartenbestellung und Termine unter

https://www.dhaus.de/programm/spielplan/nora/950/ 

Besetzung

Nora Helmer: Caroline Cousin

Advokat Helmer: Sebastian Tessenow

Doktor Rank: Joscha Baltha

Frau Linde: Luise Zieger (studierende

Rechtsanwalt Krogstad: Kilian Ponert

Regie: Felix Krakau

Bühne, Video und Lichtkonzept Florian Schaumberger

Kostüm Jenny Theisen

Musik Thomas Klein

Licht Christian Schmidt

Dramaturgie Robert Koall

Dauer

1 Stunde 45 Minuten — keine Pause