Artikel und Beiträge über die 68er werden meist nach dem alten journalistischen Schema verfertigt: Man muss Menschen zitieren, die damals dabei waren. Das wirkt dann lebendiger. Wirkt es vielleicht doch nicht: Es bewirkt einen sehr subjektiven Ausschnitt aus einer Zeit, in der Deutschland verändert wurde, mit Veränderungen, die bis heute nachwirken.
Im ZEIT-Artikel vom 1. Juni (1 ½ Seiten lang) gibt es eine Aufzählung darüber, wie 68 die Gesellschaft verändert hat. Der § 175 wurde abgeschafft, Schwule konnten Bürgermeister oder Außenminister werden; Vergewaltigung in der Ehe ist nicht mehr straffrei; Frauen können auch ohne ihren Mann Kühlschränke kaufen; die Stärkung der Frauenbewegung; Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen …
Als 1968 Abiturienten in Düsseldorf eine Aufklärungsbroschüre verfasst und an Schulen verteilt hatten, suchte sie der Staatsanwalt. Er saß neben einem der Verfasser bei dessen Verlobung (jaja, das gabs noch), und meinte „reine Pornografie, sag ich ihnen! Aber wir haben die Täter bald.“ Er sagte tatsächlich „Täter“. Die Aufklärungs-Texte, die der Tischnachbar mit einigen anderen zusammengestellt hatte, stammten von Sigmund Freud, Alexander Mitscherlich, und aus Rowohlt-Taschenbüchern über Sexualität. Die Motivation für den Staatsanwalt war aber wohl, dass in der Broschüre Adressen von Ärzten abgedruckt waren, die die Pille an 16-Jährige verschrieben. Als ich das vor einigen Jahren einer 16-Jährigen erzählte, meinte sie entsetzt „erst an 16-Jährige?!“
Soviel nur zu 68 und den Veränderungen und zu Menschen, die dabei waren.
Interessant ist aber, dass die 68er noch immer Feindbild einer spießbürgerlichen, meist konservativen und auch rechten Gruppe der Gesellschaft sind. Die Zeit der Proteste gegen Vietnam in den USA und in Frankreich (der Mai in Paris), der Proteste gegen Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten (Notstandgesetze, Demo in Bonn), die Proteste gegen das Verdrängen der Nazi-Vergangenheit undden „Muffvon 1000 Jahren unter den Talaren“ – sie wurde und wird von Politikern immer wieder einseitig dargestellt und diente auch in Medien immer wieder zu einseitigen Bildern.
Interessant ist aber eine jetzt immer wieder auftauchende Verknüpfung mit der AfD und den Neuen Rechten. Wird einerseits abgelehnt, dass 68 die Gesellschaft stark verändert hat, ziehen aber dennoch etliche Autoren die AfD hinein, in der nicht nur Meuthen die aufgeklärten, freiheitlichen Errungenschaften nach 1968 abschaffen wollen.
Wie sagte der CDU-Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, zur „Ehe für alle“: Für ihn sei eine Familie immer noch Vater, Mutter und Kind oder Kinder. Bestimmte Vorstellungen von Familie, Pflichten der Frauen und Ablehnung sexueller Selbstbestimmung sind also auch bei CDU/ CSU durchaus Usus.
Und die Ablehnung einer toleranten, offenen und humanen Gesellschaft zeigt sich unter anderem auch in Thomas de Maizières „Wir sind nicht Burka“.
Strategie und Strippenzieher der Neuen Rechten
Die von der Neuen Rechten angestrebte Revolution gegen Errungenschaften einer freiheitlichen Gesellschaft seit 1968 beschreibt der Historiker Volker Weiß – übrigens scharfer Kritiker von Sarrazin - in seinem Buch „Die autoritäre Revolte, Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlands“ (Klett-Cotta, 20 Euro). Es ist eine tiefgreifende Analyse der brisanten Entwicklung dieser Bewegung von Rechtsaußen. Weiß zeigt auf, wie diese völkische, rassistische Denke schon früh als Vorläufer der AfD gewirkt hat. Und Sarrazin, den etliche Düsseldorfer für 27 Euro am Abend in einem Weinlokal hören wollten - trotz zahlreicher Proteste aus der Nachbarschaft – ist Türöffner für das Denken der Neuen Rechten gewesen. Sarrazin hat mit seinem Vokabular in seinem ersten Buch und seinen Interviews den Boden geebnet für völkische, rassistische Formulierungen in der Gesellschaft. Seit ihm gibt es dieses „Das muss man doch noch sagen dürfen...“ als Rechtfertigung von Ausländerhass, Judenhass, Fremdenhass insgesamt. Es sind Schranken gefallen, die in Deutschland mit seiner Geschichte nicht hätten fallen dürfen. Sarrazin ist in der Strategie der Vordenker und Strippenzieher der Neuen Rechten also durchaus willkommen. Ebenso wie die AfD und die dort inzwischen Dominierenden der Neuen Rechten wie Höcke und Meuthen.
Höcke, Meuthen, auch der ehemalige CSU-und jetzige AfD-Altpolitiker Alexander Gauland, werden immer wieder als die Sprecher der Neuen Rechten zitiert. Doch die eigentlichen Strippenzieher und Strategen der Neuen Rechten sind andere, und die sind kaum im Fernsehen zu sehen. Dank Volker Weiß und seinem Buch wissen wir nun mehr.
Eigentlich begonnen hat es mit drei Mitgliedern der Burschenschaft „Deutsche Gildenschaft“ : Von dort aus beeinflussen sie und wenige andere in stramm völkisch-rechten Zeitschriften wie „Die Junge Freiheit“, in Publikationen sowie in Blogs und Kommentaren im Netz die Zielrichtung einer Strategie der Revolution der Autoritären. Der Einflussreichste ist wohl Götz Kubitschek aus Schnellroda in Sachsen Anhalt mit Ehefrau Ellen Kositzka. Googlen sie mal Schnellroda – das liegt etwas seitab … Kubitschek gibt die „Edition Antaios“ heraus. Zu den dreien aus der „Deutsche Gildenschaft“ gehört auch Dieter Stein und Karl-Heinz Weißmann. Der ehemalige Journalist Jürgen Elsässer gehörte zu den Autoren der „Jungen Freiheit“ und ist Chef des Magazins „Compact“ - nicht zu verwechseln mit „Campact“!
Sie wollen als Strategen die Bewegung „1 Prozent“ stark machen, heißt: 1 Prozent der Deutschen, als „Follower“, wie es heute gern heißt. Die „Junge Freiheit“, eines der wichtigen Organe der Neuen Rechten, ist keine Klitsche, sie hat eine Auflage von mehr als 30.000 Exemplaren. Und die wird auch auf Mallorca von Zeitschriftenläden verkauft.
Autor Weißman ist übrigens auch Gründer eines Neurechten Thinktanks, des „Instituts für Staatspolitik“ (bis 2014), das eng verbunden ist mit Stratege Kubitschek.
Sie alle eint etwas , was gern als „Anti-Liberalismus“ beschrieben wird. Das ist nichts anderes als die Ablehnung einer sogenannten Liberalen, also freiheitlichen und offenen Gesellschaft. Sie wenden sich gegen individuelle Freiheit, gegen Schwule, Lesben, sind für eine Familie mit Vater, Mutter Kind. Und das führt schnell zur Frau als Heimchen am Herd. Sie wenden sich also gegen all dass, was seit 1968 weiter entwickelt wurde. Dazu gehört auch Beatrix von Storch, die aus dem fundamentalchristlichen, evangelikalen Lager kommt und ein äußerst rückwärtsgewandtes Familien- und Frauenbild vertritt.
Mit der AfD begrüßten die Strategen der Neuen Rechten die Möglichkeit, Wähler aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft, also Wähler von CDU und CSU, für eine völkisch-nationale und rechtskonservative Partei zu gewinnen. Und damit auch Menschen zu einer ausländerfeindlichen Partei und deren Vokabular herüber zu ziehen. Wie war das mit Sarrazin: „Das wird man doch noch sagen dürfen...“ Mit der Abwahl des früheren Parteichefs Lucke und der neuen Vorsitzeden Petri übernahmen die völkisch-nationalen die Spitze der AfD.
Die Neurechten wie Höcke und Meuthen stilisieren sich gern zu Opfern hoch, wenn man Diskussionen mit ihnen ablehnt oder ihre Thesen als abwegig darstellt. „Man darf das in Deutschland nicht mehr sagen“, heißt es dann.
Aber es gilt eben doch der Satz: Jeder hat das Recht auf eigene Meinungen – aber nicht auf eigene Fakten. Die neue Rechte aber verdreht Fakten, und die aus den Trump-USA stammende Formulierung der „alternativen Fakten“ für offensichtliche Falschmeldungen beschreibt das ganz gut. Ein „Burka-Verbot“ in einem Land, in dem es vielleicht 5 Burkaträgerinnen gibt, ist so eine Verdrehung von Tatsachen. Das „die Ausländer“ den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, gehört auch dazu.
Der angebliche Islam der Neurechten
Ebenso der Hass, der gegen einen „Islam“ geschürt wird, den sich die AfD und ihre Strategen zurecht deuten. Da wird gegen Kopftücher gehetzt und ein Islam vorgeführt, der mit der Religion nichts zu tun hat, sondern mit einer kleinen terroristischen, autoritären Gruppe, die den Islam nach ihrem Machtstreben totalitär umdeutet. Die Muslime, so die Neurechten und die AfD, sollen eine (einschränkende) Sonderstellung innerhalb der Gesellschaft bekommen. Damit wird die Religionsfreiheit ausgehebelt.
Ängste schüren bei Verunsicherten
Aber die Sätze der AfD-Strategen wie Höcke und Meuthen und der Strippenzieher der Neuen Rechten schüren ganz bewusst Ängste. Viele Menschen sind verunsichert, weil so vieles möglich ist, und sie nicht so recht wissen, woran man sich halten kann. Sie wollen einfache Antworten auf Fragen, die keine einfachen Antworten mehr zulassen. Und wer verunsichert ist, zieht sich gern in kleine Räume mit engen Regeln und klaren Grenzen zurück. In denen ist alles einfach, es gibt einfache, vor allem alte Regeln. Aber in einer neoliberal organisierten Wirtschaftswelt ist zum Beispiel die klassische Familie kaum mehr möglich, in vielen Haushalten müssen Mann und Frau arbeiten. Die Zahl der klassischen Familien schwindet ohnehin. Und dann gibt es noch die Nachbarn oder ehemaligen Kollegen, die arbeitslos wurden, keinen neuen Job fanden … Und die Jobs werden immer anspruchsvoller …
Viele sehen dann nur ihre Situation, können nicht verstehen, warum sie in prekäre Lebensverhältnisse geraten, die eine Folge der Macht der Wirtschaft sind, die die Politik mit Lobbyisten zu ihren Gunsten beeinflusst.
Das bedeutet auch, dass viele gar nicht mehr begreifen, dass sie Politik mit gestalten können, auch außerhalb von Parteien. Das Politik nicht nur eine Frage von Parteien ist, sondern das dabei entschieden wird, wie wir als Gesellschaft künftig zusammen leben wollen.
Es sind nicht nur, aber auch jene, die sich so abgehängt fühlen, die empfänglich sind für die einfachen Phrasen der Neuen Rechten.
Gegen die Rechte hilft eine andere Steuer- und Sozialpolitik
Etablierte Parteien wie SPD und Grüne müsste auch klar sein, dass der der Kampf gegen Neurechte vor allem in einer anderen Sozial- und Steuerpolitik besteht. Wer der Behauptung, „wir werden nicht beachtet, für uns wird nichts getan,“ entkräftet mit Steuerentlastung für Geringverdiener und Normalverdiener und für bessere Chancen sorgt – der hat die wirklich zugkräftigen Argumente. Eine Abschaffung von Hartz IV, zurück zu einem verlängerten Bezug von Arbeitslosengeld verbunden mit mehr Qualifizierung, wie sie SPD-Kandidat Martin Schulz vorgeschlagen hat, ist da schon ein guter Schritt.
Europaweite Vernetzung
Die Neue Rechte und die AfD vertreten einen sogenannten „Ethno-Pluralismus“. Hört sich erst mal gut an. Aber es bedeutet nur: Die Nationen, die „Völker“, haben verschiedene Kulturen. Die können sie auch behalten – aber bitte nicht versuchen, sie mit anderen Kulturen zu vermischen. Die Franzosen bleiben also Franzosen, die Deutschen deutsch, aber jeder bleibt bitte in seinem Land, Franzosen und Deutsche vermischen geht nicht, und die Afrikaner bleiben bitte in Afrika. Übersetzt heißt das: Bloß kein Multikulti, Deutschland bleibt den Deutschen, ohne Migranten. Integration ist so nicht möglich.
Dafür haben sich die Neuen Rechten in Europa längst vernetzt: Die AfD mit der FPÖ in Österreich, mit der Front National von Marine Le Pen, mit der „Partei voor de Vrijheit“ PVV von Geert Wilders in den Niederlanden und ebenso mit dem Vlaams Belang in Belgien oder der Liga Nord in Italien.
AfD und die Identitären
Inzwischen gibt es bereits die Jugendorganisation der Afd, die „Junge Alternative“. Die vernetzt sich, wie einige AfD-ler, ebenso mit dem Strategen der Neuen Rechten wie Götz Kubitschek und seinem „Institut für Staatspolitik“. Die AfD-Jugend geht auch schlicht mit Neonazis zusammen, auf Demonstrationen tönt dann der Spruch „Unsere Fahne, unser Land“. Dabei gibt es gerne auch Verbindungen zu den „Identitären“. Das ist eine aktive Gruppe der Neuen Rechten, die wohl ihre Fahne zeigt, aber nicht immer offen auf Demos rumgrölt. Deren Aktivitäten gehen inzwischen mehr auf Kommentare und Post auf Facebook und Twitter. Sie vertreten ebenso den oben erwähnten Ethno-Pluralismus, heißt im Klartext: Deutschland den Deutschen, der deutschen Identität… Entstanden ist die Identitäre Bewegung in Frankreich. Die Deutschen haben sich sehr viel angeguckt, sind aber inzwischen sehr eng mit den Identitären in Österreich und der dortigen FPÖ verbunden. Sie nutzen, ebenso wie die Neue Recht um Kubitschek oder wie Höcke, das Mittel der Provokation, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Provokationen erregen nicht nur mediale Aufmerksamkeit – in der folgenden Ablehnung können sich die Akteure bestens in der Opferrolle darstellen. Kubitschek hatte schon 2007 eine Schrift mit dem Titel „Provokation“ veröffentlicht.
Was tun gegen Rechtspopulisten und Neue Rechte?
Falls es tatsächlich möglich ist, mit einem Vertreter des neurechten Weltbilds in eine Diskussion zu kommen, ist die wichtigste Frage zuerst: Welche Quelle, welche Fakten sind es, auf denen Sie ihre Meinung stützen? Und ebenso wichtig: Bei dem, was die Neurechten vorschlagen: Wie sieht die Gesellschaft dann aus? In welcher Gesellschaft wollen wir alle leben, wollen Sie leben? In einer, in der Deutsche oben, die anderen unten sind? Mit den aus den Weltkriegen bekannten Folgen?
Fast immer wird auf Neurechter Seite auf Emotionen gesetzt wie dem Gefühl, Opfer zu sein, Emotionen ersetzen oft Argumente.
Wenn das Argument kommt: Die Politiker haben uns im Stich gelassen, ist eine Frage ja: Wann haben Sie mit ihrem Angeordneten geredet, ihm eine Mail geschrieben?
Aber machen wir uns keine Illusionen: Wer aus dem Bauch heraus, mit geschürten Ängsten verunsichert, oder aus Hass auf andere argumentiert, ist in einer Diskussion kaum zu erreichen. Mittelfristig, wie es so schön heißt, ist eine andere Politik für den Arbeitsmarkt, ohne Hartz IV, mit anderer Sozial- und Steuerpolitik und einer Bildungspolitik, die nicht unterm Spardiktat eines Schäuble leidet, der beste Weg, der Neuen Rechte die Anhänger zu nehmen.
(Autor Jo Achim Geschke)
Sarrazin-Lesung am Fürstenplatz, Protest über zwei Tage (VIDEO)
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