Jüdische Kulturtage 2015

360 mal Jüdisches Leben in Film, Musik, Literatur

Von Jo Achim Geschke |

Klezmer Foto Klaus Kassel Jüdische Kulturtage

"angekommen – jüdisches [er]leben" – so lautet das Motto der diesjährigen Jüdischen Kulturtage, die nach 2002, 2007 und 2011 (mit einem kleineren Vorläufer im Jahr 1998) inzwischen zum vierten Mal stattfinden. Mehr als 360 Darbietungen präsentieren die Veranstalter zum vielfältigen Kennenlernen jüdischer Kunst und Kultur vom 22. Februar bis 22. März. Die Geschichte wird nicht vergessen, aber es gibt keine Fixierung auf sie.

Das Thema "angekommen" verweist auf das Jahr 1945. Vor 70 Jahren begann für die Überlebenden der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft die Reise in ein neues, damals noch sehr ungewisses Leben. Sie kamen aus dem Elend. Ihr Gepäck waren die Erinnerungen an unvorstellbare Grausamkeiten. Um sie herum nur Zerstörung und die Auswirkungen des 2. Weltkrieges.

Diejenigen, die den Neuanfang wagten und Vertrauen in eine Zukunft in Deutschland setzten, sind heute angekommen. Sie sind Bürgerinnen und Bürger, überwiegend schon in dritter oder vierter Generation. Sie gründeten jüdisches Leben mit Gemeindezentren, Synagogen, Kindergärten, Schulen und einer Infrastruktur, die das "angekommen – jüdisches (er)leben" jeden Tag bestätigt. In Nordrhein-Westfalen leben derzeit 29.000 eingetragene Gemeindemitglieder in 19 jüdischen Gemeinden. Im Rheinland haben 22.000 jüdische Menschen, die sich neun jüdischen Gemeinden zugehörig fühlen, ihre Heimat. Kunst und Kultur spielen eine sehr große Rolle im Gemeindeleben – das zeigt sich auch im vielfältigen Programm der Jüdischen Kulturtage im Rheinland.

Die Jüdischen Kulturtage 2015 finden vom 22. Februar bis 22. März statt. Ausstellungen werden auch über diesen Zeitraum hinaus präsentiert. Die Federführung liegt wieder beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. In erheblichem Umfang werden die Kulturtage unterstützt und realisiert von den teilnehmenden Städten, von Kulturämtern, Kulturbüros, Kunstschaffenden, Landesministerien, jüdischen Organisationen und Gemeinden, Sponsoren und Förderern. Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, haben die Schirmherrschaft übernommen.

Am 22. Februar werden in der Düsseldorfer Tonhalle die Jüdischen Kulturtage eröffnet. Gastgeber der Eröffnungsveranstaltung sind Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf, und Dr. Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. Weitere Redner sind: Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, und Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Das kulturell geprägte Rahmenprogramm bietet einen Vorgeschmack auf das vierwöchige jüdische Festival.


Bereits am 21. Februar findet in Köln die Jewrovision 2015 statt. Sie ist der größte jüdische Gesangs- und Tanzwettbewerb Deutschlands und Europas. Teilnehmen dürfen jüdische Kinder und Jugendliche zwischen elf und 19 Jahren aus ganz Deutschland.


Bildende Kunst  mit 27 Ausstellungsprojekten

Das Programm der Jüdischen Kulturtage zur Bildenden Kunst präsentiert im Schwerpunkt aktuelle Arbeiten aus verschiedenen Genres wie Fotografie, Film, Bildhauerei, Performance, Multimedia, Malerei und Zeichnung. Künstlerischen Austausch und Dialog repräsentieren mehrere Städte. So sind israelische Künstlerinnen und Künstler aus Ein Hod zu Gast in Düsseldorf – ein fast 30 Jahre währender Austausch. Jüdische Identität ist ein weiteres Stichwort, das künstlerisch aufgegriffen wird, zum Beispiel von Michael Kerstgens mit seinen Porträts eingewanderter Jüdinnen und Juden im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus. Oder Andrea Morein, die sich kritisch mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in Israel auseinandersetzt: Ihr "themessiahproject" ist ein Trauergesang, gezeigt in Köln im Hochbunker.

Paul-Spiegel-Filmfestival 2015


An vier Spielorten (Duisburg, Düsseldorf, Köln, Leverkusen) wird u. a. eine kleine Auswahl der noch erhaltenen "stummen" Kurzfilme des Komikers Max Davidson (1875–1950) gezeigt. Sie werden von Joachim Bärenz – einem der dienstältesten Stummfilmpianisten Deutschlands – live am Klavier begleitet. Außerdem feiert das Paul-Spiegel-Filmfestival 2015 sein zehnjähriges Bestehen. Ein Großteil der Filme spürt nach, wie junge Menschen ihren eigenen Platz in der Welt finden müssen und zu einem neuen Verständnis (nicht nur des eigenen) jüdischen Lebens gelangen. Interessante Filme und Gäste laden im Black-Box-Kino des Filmmuseums dazu ein, die Vielfalt jüdischer Welten kennenzulernen. Auch die Filmwerkstatt in Düsseldorf und die Filmpalette in Köln sind wieder mit einer spannenden Filmauswahl dabei.

Literatur (47 Lesungen)

Dem thematischen Motto "angekommen" entsprechend liegt der Schwerpunkt auf den zeitgenössischen Formen des Schreibens, die sich mit der Frage nach jüdischer Identität auseinandersetzen oder sich charakteristischer Stilmittel der Sprache beziehungsweise des Humors bedienen. Neben dem Blick auf die internationale Literaturszene ist auch die Lyrik vertreten, wenn mit musikalisch begleiteten Veranstaltungen Dichterinnen wie Else Lasker-Schüler oder Mascha Kaléko zu Wort kommen oder Schauspielerinnen wie Marianne Sägebrecht Hilde Domins Gedichten neuen Glanz verleihen. Die international bekannte Kinder- und Jugendbuchautorin Mirjam Pressler liest für Kinder und Erwachsene, dazu gibt es weitere (Schul-)Lesungen für Kinder.

Musik (76 Veranstaltungen)

Das musikalische Programm der Jüdischen Kulturtage im Rheinland bietet vielfältige Einblicke in Klassik, Jazz und Klezmer und zeichnet sich durch eine große Internationalität aus. Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt treffen sich im Rheinland und zeigen ihr Können. Der Ausnahme-Pianist Igor Levit tritt zusammen mit den Düsseldorfer Symphonikern auf. Beim Jazz trifft das Axel-Fischbacher-Trio auf Ohad Talmor, der New Yorker Jazzpianist Richie Beirach gibt in Eitorf ein Solokonzert, ebenso wie Omar Klein in Düsseldorf. Verschiedene Klezmer-Bands wie "Klezmer Tunes", "crazy freilach", "Kol Cole" oder die "Amsterdam Klezmer Band" stehen für jungen, zeitgenössischen Sound. Vorgestellt werden aber auch die Werke von jüdischen Musikerinnen und Musikern in Bonn, Düsseldorf und Köln. Auch in diesem Jahr gibt es wieder Darbietungen der Chöre aus den Jüdischen Gemeinden (Düsseldorf, Mönchengladbach, Wuppertal), Workshops und weiterer Klassikkonzerte.



Tanz und Theater (29 Vorstellungen)

In diesem Jahr besteht das Programm für Tanz und Theater aus Unterhaltsamem, Ernstem, Fröhlichem und Berührendem; einige Auftragsarbeiten sind ebenfalls zu sehen. Aufgeführt werden in gleich mehreren Städten die Theaterstücke "Hiob" nach Joseph Roth und "Scherben" von Arthur Miller. Im Düsseldorfer Schauspielhaus ist der berühmte Theaterautor Joshua Sobol zu Gast mit der Urlesung seines neuesten Stückes "König David". Ein besonderes Ereignis ist die Fahrt von Aachen ins Theater Heerlen in den Niederlanden am 27. März. Gezeigt wird dort das Stück "House" mit dem Ensemble L-E-V (Hebräisch für Herz). Ihr hervorragendes tänzerisches Können demonstrieren die Kibbutz Contemporary Dance Company, das Kaiser Antonino Dance Ensemble und das tanzhaus nrw. Umrahmt wird das Programm mit Theaterstücken für Kinder und Workshops, u. a. mit dem ZEN-Clown Moshe Cohen.

Begegnungsprojekte

In den neun teilnehmenden jüdischen Gemeinden sind die kulturellen Veranstaltungen ein wichtiges Bindeglied und ein bewährter Weg, das Gemeindeleben zu gestalten. Auch in diesem Jahr feiern christliche und jüdische Jugendliche und Kinder gemeinsam das jüdische Purim-Fest. Ein weiteres Highlight: Das Jugendzentrum der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf kreiert für die Jüdischen Kulturtage das Musical "Kadima Steps". Etwa 40 Jugendliche im Alter von 11 bis 19 Jahren unterschiedlicher Glaubensrichtungen singen, tanzen und performen. Eine besondere Begegnung ist "The Ashkenaz Project": Internationale Klezmer-Stars treffen junge Musikerinnen und Musiker des Rheinlands, um jiddisch-deutsche Musikschätze zu neuem Leben zu erwecken. In Duisburg findet das Fest des Jüdischen Buches statt, ergänzt durch "Maikäfer flieg II", eine Parabel für Kinder, aufgeführt in Schulen. Gemeinsam kochen und essen gehört ebenfalls zu den Begegnungsprojekten sowie das jährlich von der Bergischen Musikschule veranstaltete Benefiz-Konzert "Kinder spielen für Kinder".

 

Das gesamte Programm gibt es im Internet unter:
www.juedische-kulturtage-rheinland.de