Romeo und Julia vom Stadt:Kollektiv als aktuelles Drama

Romeo und Julia oder von Hass, Vorurteilen und der Suche nach dem Wir heutzutage

Von Jo Achim Geschke |

Rome und Julia, Balkonszene

: Romeo und Julia, Balkonszene: Thien Kim Phan, Christian Schwarz-Schier, Carolin Wilhelmine Müller, Zoltán Selo, Ylber Zaimi, Eli Aliashvili, Lou Magnus Heckhausen, Violeta Mikić, Kristina Karst-El Scheich, Alrun Juman Göttmann, Masha Shafit, Mina Gamoori, Layan Baker, Beate Söhngen/ Foto (C) Thomas Rabsch, D Haus.

Das immer wieder zitierte Drama, auf dieser Bühne mit beeindruckenden Laien-Darsteller:innen ist „Romeo und Julia“ in der bedrückenden Aktualität angekommen. Diese Jugendlichen, diese Erwachsenen wollen keinen Tod spielen, „ich will keine tote Julia spielen“, sagt eine. Sie haben Erfahrungen mit Diskriminierungen, mit Vorurteilen, mit Vor-Verurteilungen. Sie haben armenisch-jüdische, jüdische und palästinensische Wurzeln und müssen die Dystopie des Heute aushalten. Und wollen deshalb eine andere Julia, einen anderen Romeo auf die Bühne bringen.

Und doch ist erstaunlich viel des Shakespearschen Textes stehen geblieben. Regisseur Bassam Ghazi vom Stadt:Kollektiv (früher „Bürgerbühne“) hat die Darsteller:innen im Alter zwischen 16 und 62 Jahren mit entscheiden lassen, wie sie diese Geschichte zweier junger Liebenden vorstellen wollen. Was sie einbringen, was sie ändern wollen. Dabei wird auch im Text deutlich, wie sehr das Leben dieser Menschen durch Erfahrungen von Vorurteilen und Diskriminierung in der Gesellschaft geprägt ist.  

Schon vor Beginn spielen die Darsteller:innen die Fehde zwischen den Montagues (Romeo) und den Capulets (Julia) im Foyer inmitten der wartenden Besucher:innen, bringen das Stück so hinein in das heute und hier. Und im hellen Saal, während die letzten Zuschauer:innen ihre Plätze suchen, geht die Szene mit Darstellerinnen unmerklich in die Theateraufführung über.

Im Hintergrund laufen als Videoprojektion Videos, Reels und  Fotos der Romeos und Julias aus TikTok und Insta ab. Die 15 Laiendarstellerinnen begeistern schon zu Beginn mit einer exakt abgestimmten Choreografie.

Aber die Julia will zunächst keine der jungen Frauen spielen. Nein, nicht schon wieder Tod. Davon gibt es genug, in den Nachrichten, in den eigenen Geschichten.

Das Bühnenbild besteht aus Kleiderständern mit sehr vielen Kostümen auf zwei- bis drei Ebenen. Schließlich gibt es nicht nur eine Julia, fast alle der Frauen übernehmen mal diese Rolle.

Balkonszene als Choreo mit 15 Julias und Romeos

Wundervoll die berühmte Balkon-Szene: hinter einem kleinen Geländer aus Holz versammeln sich alle sieben Julias, vor ihnen schwärmen die acht Romeos, weichen zurück, gehen vor – die Choreographie (Rônni Maciel) auch hier beeindruckend.

Aber es bleibt nicht bei den Liebesschwüren. Wir reden ja über zwei verfeindete Häuser, heißt es einmal. Dieser Krieg, dieser Hass macht uns kaputt, heißt es,

und zwei der Frauen formulieren laut,  „Wir Palästinenser sind nicht die Hamas!“

Ich bin 16, sagt die eine „Julia“. Und es wird teils herzzerreißend deutlich, dass da nicht nur Laien speilen, da stehen Betroffene mit ihrer Geschichte und den Erfahrungen von Diskriminierung auf der Bühne.

Die Diskriminierungen und Vorurteile, wie der unsinnige Hass der Familien bei Shakespeare, gehören zu ihren Erfahrungen. Sie fühle sich als deutsch-palästinensische Jugendliche erstmals arabisch, sagt eine. Weil sie den Anfeindungen ausweicht. Ihre Familie sei jeden Tag bedroht, was sie hier zu Boden drücke.

Eine der „Julias“, die mit einem Mann aus dem Sudan verheiratet ist, beschreibt die Ängste: „Wir wissen nicht, ob wir hierbleiben sollen. Aber wohin?“ In den 90ern, da haben sich Palästinenser und Israelis die  Hände gereicht, sagt sie. Die Frau hebt eine israelische Zeitung hoch, auf der sie und ihr Mann (aus dem Sudan) vor einem Bild von Barack Obamas auf der Titelseite abgebildet sind.

Die armenisch-jüdische Amme

 Berührend die „Amme“, die von ihren armenisch-jüdischen Wurzeln erzählt und so wundervoll Gitarre spielt. Sie erzählt von Danny. Er war eine Geisel. Er wurde in einem dunklen Keller erschossen.

„Er war drei Jahre älter als ich“.

Die Julia, die auf ihren Romeo wartet, die die Phiole leert, die sie tot erscheinen lässt, sie ist in der Szene gleich mehrfach auf dar Bühne, liegt auf dem weißen Laken. Auch der Romeo, der das Gift trinkt, erscheint mehrfach. Es sind viele.

„Erst über dem Grab ihrer Kinder versöhnen sich die verfeindeten Familien“, intonieren die Darsteller:innen.

Und: „Wann haben wir das Wir verloren?“

Langer Jubel, der ganze Saal steht auf, Standing Ovations für die ausgezeichneten, beeindruckenden Darsteller:innen und  die Inszenierung.

Ein Stück bestes aktuelles Theater in der Stadt, das viele Schulklassen und Erwachsene zum Denken und Diskutieren anregen kann.

Ich empfehle auch bei diesem Stück das sehr gute und informative Programmheft.

Weitere Termine unter

https://www.dhaus.de/programm/spielplan/romeo-und-julia/697/

Besetzung

Julia: Layan Baker, Mina Gamoori, Alrun Juman Göttmann, Kristina Karst-El Scheich

Romeo: Carolin Wilhelmine Müller, Zoltán Selo, Ylber Zaimi

Amme: Masha Shafit

Pater Lorenzo: Lou Magnus Heckhausen

Mercutio: Thien Kim Phan

Benvolio: Eli Aliashvili

Tybalt: Béla Karl Ternes

Graf Capulet: Violeta Mikić

Lady Capulet: Christian Schwarz-Schier

Graf Montague: Beate Söhngen

Prinz (Stimme) Sebastian Tessenow

Regie Bassam Ghazi

Bühne Paulina Barreiro

Kostüm Maria Lucía Otálora

Choreografie Rônni Maciel

Video Viktoria Gurina

Licht Konstantin Sonneson

Musikalische Mitarbeit Masha Shafit

Dramaturgie Birgit Lengers

Dauer 1 Stunde 30 Minuten — keine Pause