Ex OB Geisel will zu Sahra Wagenknecht und ihrem Bündnis wechseln - ein Kommentar

Ex OB Geisel will bei Sahra Wagenknecht reüssieren -Kommentar und Analyse

Von Jo Achim Geschke |

Geisel im Interview mit NDOZ 2015

Geisel als OB beim Interview mit NDOZ-Mitgründer Jo Geschke in seinem Büro 2015 / Foto © Jo Geschke

Am Montag 8. Januar will die ehemalige Linke Sahra Wagenknecht auf einer Pressekonferenz eine Parteigründung und Mitglieder des neuen Bündnisses „BSW – für Vernunft und Gerechtigkeit“ vorstellen. Dazu gehören etwa der prominente Linken-Politiker Fabio de Masi. Auf der Liste der Pressekonferenz steht auch der Düsseldorfer Ex-Oberbürgermeister Thomas Geisel. Er erläutert seine Gründe in einem Schreiben, das uns vorliegt. Die Gründe für diesen Schritt sind intellektuell nicht immer ganz nachvollziehbar. Ein Kommentar.

Vorweg: Die Ankündigung der Parteigründung hat mehrere demokratische Fehlstellen. Eine Vorsitzende wird nach demokratischen Regeln erst auf einem Parteitag gewählt. Und ob Geisel als Kandidat für die Europawahl agieren kann, wie er schreibt, hängt von seiner Wahl auf einem ordentlichen Parteitag ab.

Der ehemalige Oberbürgermeister Düsseldorfs begründet seinen Wechsel sehr ausführlich.

Geisel bedient jedoch die Mär der Konservativen in CDU und CSU: Deutschland sei die rote Laterne beim Wirtschaftswachstum und „Aus dem bewunderten "Modell Deutschland" der Ära Helmut Schmidt ist ein Sanierungsfall geworden, über den unsere Nachbarn nur noch mitleidig den Kopf schütteln.“ Zitat Ende. Da widersprechen schon allein die Schlagzeilen seriöser Zeitungen : „Deutschlands Strom so sauber wie nie“ (Focus 3.1. 24) – „Zahl der Erwerbstätigen auf Rekordniveau“ (Süddeutsche 2.1. 24). Alles keine Zeichen für einen Sanierungsfall. Außer für die Zeitung mit den große Buchstaben.

Widersprüche

Geisel wütet mit teils konservativen Vokabeln (Zitat: „kostspieliger bürokratischer Dilettantismus, der Deutschland die rote Laterne bei Innovationen und Wirtschaftswachstum eingehandelt hat.“) gegen die Grünen (Verbote, gängeln, etc)  und bedient zudem den Mythos, das zukünftige Kinder die Schulden des Staates zahlen müssen.

Der jetzt wohl SPD-Ex-Genosse hat selbst mal gesagt, man müsse investieren in Schulen, wenn es nötig ist, und nicht erst, wenn Geld da ist. War ja auch richtig. Denn wenn der Staat jahrelang nicht investiert (Thema Schuldenbremse), dann kommt das raus was CDU/ CSU fabriziert haben: marode Deiche, kaputte Brücken, kaputte Bahngleise, fehlende Digitalisierung für die Wirtschaft etc. Und die Schulden, um das zu bezahlen, werden nicht von den Kindern bezahlt, sondern aus dem BIP, dem Brutto Inlands Produkt, also der gesamten Wirtschaftsleistung, da dann dank der früheren Investitionen Menschen mehr Steuern zahlen können und mehr Beschäftigte den privaten Konsum anschieben  und so weiter…

Ich schreibe seit mehr als 30 Jahren über Politik und Soziales in Düsseldorf und habe 2015 auch Geisel als OB interviewt (siehe Foto) . Keine Frage: Geisel hat als Oberbürgermeister der Stadt (2014 – 2020) viel Gutes mit dem Stadtrat zusammen bewirkt, vor allem den Bau neuer Schulen und die Sanierung von Schulen – wovon bis heute die Stadt und die jetzige Politik profitiert.

Warum er jetzt einer Märchenerzählung von einer gerechten Politik des Sahra Wagenknecht – Bündnisses anhängt, bleibt sicher späteren und anderen Analysen vorbehalten.

Stellungnahme der SPD Düsseldorf

Die SPD Düsseldorf schreibt in ihrer Stellungnahme : „Seine Kandidatur ist weder formal noch inhaltlich mit seiner bisherigen Mitgliedschaft in der SPD vereinbar. Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis stehen an der Seite des verbrecherischen Putin-Regimes. Darüber hinaus relativiert sie die Dringlichkeit des Klimaschutzes und diskreditiert Migrantinnen und Migranten sowie Personen, die sich für Toleranz und Gleichberechtigung einsetzen.“

Wie Geisel seine Vorstellungen (er zitiert das Godesberger Programm von 1959 bis 1989) „So viel Staat wie nötig, so viel Markt und Wettbewerb wie möglich.“ beim Wagenknecht-Bündnis  möglich machen will, ist auch nicht so ganz klar.

Zudem neigt Geisel offensichtlich zum (Zitat) „Prinzip des "Fördern und Forderns" [ihres] ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.“ Nun ist man in der SPD nicht gerade begeistert vom Ex-Kanzler Schröder.

Interessant ist allerdings Geisels Einlassung zur „Identitätspolitik“:

Zitat: „In der Gesellschaftspolitik sind nicht wenige in der SPD von heute dabei, Identitätspolitik an die Stelle einer Politik der Chancengerechtigkeit zu setzen. Wenn nicht mehr die individuelle Leistung, sondern Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe oder sexuelle Identität und Orientierung für die Verteilung staatlicher Funktionen und gesellschaftlicher Ressourcen maßgeblich sein soll, ist es nur konsequent, dass die Anstrengungen zurückgehen, Unterschiede von Geburt durch Bildung zu eliminieren.“  Das strotzt vor Vorurteilen: Wer die Gleichbehandlung von Schwarzen oder PoC ablehnt, ist schon den ersten Schritt der Diskriminierung gegangen.

Gegen Sanktionen gegen Russland

Geisel wendet sich zudem - ganz im Sinne Wagenknechts – gegen Sanktion in Richtung Russland, führt dazu sogar Willy Brandt an. Den Wandel der Zeit seit Brandt, etwa die rücksichtslose Machtausübung Putins, ignoriert er bei seiner Kritik.  Eine schnelle Beendigung des brutalen Krieges in der Ukraine zu fordern heißt aber, den Aggressor ungeschoren davon kommen zu lassen, zudem wäre das ohne Aufgabe von ganzen Regionen für die Ukraine nicht möglich.

Wenn Geisel zudem meint, „Sozialdemokraten in der Tradition von Willy Brandt und Helmut Schmidt sind in der SPD heimatlos geworden.“, dann verkennt er schon, dass es zwischen Brandt und Schmidt bereits erhebliche Unterschiede gibt.

Und wenn Geisel meint, dass eine Wagenknecht „BSW“ für eine Außenpolitik stehe, die für Ausgleich und Entspannung sorge – dann verkennt er offensichtlich die Machtansprüche Putins und seine Ziele im Sinne eines Groß-Russlands. Wer die Entwicklung Putins in den vergangenen Jahren verfolgt hat, wie er Aussagen gegenüber Politiker:innen wie Merkel oder Scholz schlicht negiert hat, mit  welcher Ignoranz gegenüber Völkerrecht und Mitmenschlichkeit er den Krieg gegen die Ukraine begann – der kann nicht naiv Entspannung fordern. Wie kann ein Politiker einen Alleinherrscher wie Putin, den viele vor dem internationalen Gerichtshof anklagen wollen, im Zusammenhang mit „Ausgleich“ auch nur denken.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Jochen Ott, hat Geisels Ankündigung gegenüber dem WDR leicht satirisch auf „Langeweile“ zurückgeführt, weil er nicht wisse was er machen solle im neuen Jahr.

Das ist witzig, ignoriert aber leider, dass viele Menschen in Deutschland eine Vorliebe für autoritäre Strukturen in der Politik haben zu Parteien wie der in großen Teilen gesichert rechtsextremen AfD neigen. Eine autoritär geführte BSW – Wagenknecht-Partei könnte daher nach Meinung vieler ernsthafter Kommentatoren durchaus etliche Prozente einfahren.

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, früher  im Rat Düsseldorf, heute im Bundestag Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, meinte im WDR-Lokalfernsehen süffisant: „Es gibt Leute, die gehen in die Politik, weil sie Freude am Gestalten haben, und es gibt Leute, die gehen in die Politik, weil sie einen Job brauchen.“  

(Link: https://www1.wdr.de/lokalzeit/fernsehen/duesseldorf/lokalzeit-aus-duesseldorf-clip-lokalzeit-aus-duesseldorf--04-01-2024-100.html )