Wie rechte autoritäre Themen den politischen Diskurs bestimmen - Demo gegen Polizeigesetz

18.000 demonstrierten gegen Polizeigesetz und für Erhalt der Bürgerrechte – Nachbetrachtung, wie rechte autoritäre Themen den politischen Diskurs bestimmen

Von Jo Achim Geschke |

Demo gegen Polizeigesetz Düsseldorf / Fotos, Collage(C) Jo Achim Geschke

In Skandinavien schreiben Ministerinnen sogar Krimis (Anne Holt), wir stellen uns jetzt mal vor, Herbert Horsti Reul (CDU Innenminister NRW) schriebe einen Krimi…. Na gut, besser nicht, aber er hat ein Art Krimi geschrieben, und das Manuskript hat ihm die Bevölkerung jetzt ablehnend zurück geschickt: 18.000 bis 20.000 Menschen aus NRW demonstrierten am Samstag in Düsseldorf friedlich gegen das geplante NRW Polizeigesetz. Der Demo-Zug reichte von der Friedrich-Ebertstraße (DGB Haus), Steinstraße, über die Kö (Ladenseite) und Kö-West (Bankenseite) bis fast zum Graf-Adolf-Platz. Da ist die offizielle Polizeiangabe von 9400 wohl eine Fehleinschätzung. Die Inhalte des geplanten Gesetzes, das ein Plagiat des Bayrischen ist, fassten einige Schilder zusammen: „Password vergessen? 110 anrufen“ , andere bezogen sich darauf, dass die Polizei auf bloße Vermutung hin und unter der bloßen Annahme einer drohenden Gefahr Menschen bis zu einem Monat festsetzen kann. Damit wird die Unschuldsvermutung, einer der Grundpfeiler unseres Rechtsstaats, einfach aufgehoben. Und das kann jeden treffen – auch Sie. Ja Sie, die sie das hier lesen.

Die Mehrheit bei der Demo war im Alter von U 35, mitgezogen bis zum Landtag sind Gruppen aus Bonn, Aachen, Mercedes Sindelfingen, die Jusos, die Grünen aus Düsseldorf und NRW mit Sprecherin Mona Neubaur, Attac, die Grüne Jugend, IG Metall und Gewerkschaft Bau, GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), Feministinnen, Amnesty International, Fortuna Fans, Fußball-Ultras aus Köln, Karnevalisten aus Köln, und und … und auch einige marginale K-Gruppen. Der DGB Düsseldorf fehlte als Anmelder, wohl wegen der hiesigen Polizeigewerkschaft GdP.

Video mit Impressionen zur Demo gegen das Polizeigesetz unter

youtu.be/e-AcSi078lc

Verdachtsunabhängig – ein Wort wie aus Erdogans Türkei oder aus Ungarn, aber es beschreibt die Tendenz des geplanten Polizei-Gesetzes nach bayrischem Vorbild. Sie meinen, Sie haben ja nichts zu verbergen, nichts getan? Stellen Sie sich vor, Sie werden auf einer Straße in Düsseldorf nach dem Weg gefragt. Sie erklären dem Mann ausführlich, wo die gesuchte Straße ist. Ihr Pech: Der Mann wird gesucht, in der ausgeweiteten Videoüberwachung verfolgt. Auf eine bloße Vermutung hin werden sie nun überwacht, ihr Telefon, ihre Mails. Wenn es hart kommt, können sie nach dem neuen Pol-Gesetz bis zu einem Monat in einer Zelle festgehalten werden. Und ein Anwalt kann Sie da nur schwer rausholen.

Bisher war es in unserem Rechtsstaat so, dass ein begründeter Verdacht bestehen muss, und dass die Polizei Ihnen dann nachweisen muss, dass Sie eine Straftat begangen haben. Dann folgt eine Festnahme. Erst dann kann ein Richter aufgrund der Beweise eine Haft anordnen.

Die „verdachtsunabhängige“ Verfolgung von Bürgern, wie sie die CSU und nun auch der CDU-Minister Reul in NRW plant, bedeutet einen klaren Verstoß gegen die Grundlagen der bürgerlichen Freiheit und gegen die Prinzipien unseres Rechtsstaats, wie sie die Verfassung nach den üblen Erfahrungen nach 1933 mit Bedacht aufgenommen hat.

Einschätzungen von Beteiligten an der Demonstration weiter unten.

Kommentar:

Die Agitation der Neurechten bestimmt Sprache und Thema der Diskussion

Das ständige verdachtsunabhängige Reden von Gefahr und „Sicherheit“ verunsichert etliche Menschen und macht nur die neuen Rechten stark – siehe Umfrage mit einer erstarkten AfD. Mit der Annahme einer terroristischen Gefahr wird vom CDU-Innenminister (NRW) eine Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten und eine Auflösung von Grundlagen unseres Rechtsstaats begründet. Diese Gefahr wird ebenso überhöht wie die angebliche Bedrohung durch millionenfach einreisende Flüchtlinge, wie es etwa Horst Seehofer zur eigenen Profilierung betreibt.

Das Geschwafel von Sicherheit, obwohl jeder weiß, dass es eine 100-prozentige Sicherheit gar nicht geben kann, entspricht dem Geschwafel der neuen Rechten um die AFD. Und deren Strategie wird von der CDU auch in Düsseldorf aufgenommen. Inklusive Verdächtigungen und Beleidigungen.

Die CDU wirft Geisel vor, gelogen zu haben, Sprecher Rüdiger Gutt und Ratsherr Paul Stieber übernehmen dabei eine Rhetorik, die von Neurechten bekannt ist, was selbst in der RP einen mahnenden Kommentar zeitigt. Wenn es einen Verdacht gäbe, warum geht die CDU dann nicht zum Staatsanwalt. Paul Stieber übernimmt zudem mit “keiner von uns“ die ausgrenzende neurechte Polemik gegen Geisel. Wenn die CDU Fraktion im Rathaus einen Oberbürgermeister mit diesen Mitteln angreift, der Chef einer Verwaltung von knapp 10.000 Mitarbeiter_innen ist, werden nicht nur rechte Vorurteile geschürt. Die Menschen werden in Vorurteilen bestätigt, sie seien sowieso machtlos, Politik sei sowieso ein komisches Geschäft etc etc. Das treibt Wähler in genau die rechte Ecke der Parteienlandschaft, die die AfD stark gemacht hat. Das Muster gleicht, wenn auch weitaus erfolgloser, der Strategie der CSU: Politiker diffamieren, neurechte Sprachmuster übernehmen, um die eigene Partei beim kommenden Wahlkampf zu stärken. Das funktioniert in Bayern nicht, und hier auch nicht: Gestärkt wird nur die neue Rechte. Die darf jetzt den Sprachgebrauch der CDU übernehmen und ungestraft von Lügen und Betrügen faseln.

Die eigentlich löbliche Baumschutzgruppe lässt sich vor den lahmenden politischen Karren der Konservativen spannen, Mitglieder ignorieren immer wieder Fakten wie etwa Änderungen im Konzept. Zudem wird in Kommentaren in Facebook vor allem OB Geisel angegriffen, bei einer Verwaltung, in der von den 10.000 Mitarbeiter_innen mehrere Ämter beteiligt waren. Das ist die Folge einer Rhetorik der CDU, die vor Verunglimpfungen nicht zurück schreckt.

Wir haben ganz andere Probleme

Klar wird: Ebenso wie in der Bundespolitik wird ein Thema hochgejubelt, aber eigentlich nur auf einen politischen Gegner gezielt. Dabei hat die Bevölkerung Düsseldorfs ganz andere Probleme: Wohnungsnot etwa auf Grund von viel zu hohen Mieten und fehlenden Sozialwohnungen. Aber die CDU weiß, dass seit der Wahl Geisels erstmals ein Wohnungsbauprogramm forciert wird und erste Erfolge zeigt. Unter der CDU-Spitze haben CDU-Politiker bis 2014 immer wieder den Bau von bezahlbaren Wohnungen verzögert oder gar verhindert. Deshalb kein Thema für die CDU im Rat Düsseldorfs, daran will man sich nicht gern erinnern lassen.

Ebenso wie beim Thema Schulbau: Unter CDU-OB Elbers (bis 2014) gab es ein Spardiktat (aber Luxusprojekte), von angeblichen 40 Millionen im „Masterplan“ wurden zeitweise nur 11 Millionen ausgegeben für das Nötigste. Die Sanierung der Schulen und dringend nötige Neubauten werden erst unter OB Geisel massiv angeschoben. Jetzt werden bis 2020 rund 700 Millionen Euro in den Schulbau gesteckt. Deshalb kein Thema für die CDU im Rat Düsseldorfs, daran will man sich nicht gern erinnern lassen.

Ebenso bei den Schwimmbädern: Erst jetzt werden mit einem Bäderkonzept etwa das zuvor vernachlässigte Bad in Flingern saniert und neu gebaut, ebenso wie im linksrheinischen. Deshalb kein Thema für die CDU im Rat Düsseldorfs, daran will man sich nicht gern erinnern lassen.

Ebenso wie bei Radwegen: Jahrelang folgte die CDU dem Beispiel von CDU-OB Joachim Erwin, der 2000 höchstselbst erstmal den Radweg auf der Luegallee abfräste. Radwege kosteten Parkplätze, war die Argumentation in Ratsausschüssen und Bezirksvertretungen. Jetzt wird mühsam aufgeholt, was 14 Jahre liegen gelassen wurde.

Die maroden Kulturbauten und städtischen Gebäude, die unterm Spardiktat (ausgenommen Luxusprojekten) der CDU kein Thema waren, und jetzt teuer saniert werden müssen – kein Thema für die CDU im Rat Düsseldorfs, darüber wird also öffentlich nicht so gern diskutiert.

Sorgen um die Pflege sind ebenso ein Thema und die Altersarmut, die von der Bundes-CDU und CDU-Minister Jens Spahn aber nicht angegangen wird. (Deshalb besser kein Thema für die CDU im Rat Düsseldorfs).

Es gibt aber einen kleinen Hoffnungsschimmer: Bei der Demonstration gegen das Polizeigesetz waren sehr sehr viele junge Bürger beteiligt. Sie lassen sich von den neurechten Sprüchen nicht beeinflussen und pochen auf die Erhaltung der bürgerlichen Freiheitsrechte, die in unserer Verfassung garantiert sind. Und die werden sich kaum auf neurechte verquaste Sprüche und Strategien einlassen.

Einschätzungen von Beteiligten und Organisator_innenan der Demonstration

Die Sprecherin des Bündnisses No-Polizeigesetz: „Es ist einfach überwältigend, wie breit der heutige Protest ist. Es demonstrieren Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft gemeinsam und solidarisch. Sogar die Fans verschiedener, sonst rivalisierender Fußball-Clubs stehen zusammen auf der Straße“, sagt Sonja Hänsler, Sprecherin des Bündnisses. „Alle sind von den Verschärfungen betroffen und deswegen demonstrieren wir Seite an Seite“, erklärt Sebastian von der organisierten Fanszene des Bundesligisten Fortuna Düsseldorf. „Die Vorschläge der Landesregierung würden Tor und Tür für polizeiliche Willkür öffnen - egal, ob auf dem Weg zum Fußballspiel, zur Arbeit oder zu einer Demonstration.“
padeluun vom Verein Digitalcourage kommentiert: "Die Legislative und Exekutive muss sich – genauso wie die Bevölkerung – den Herausforderungen einer komplexeren und weitaus friedlicheren Welt als noch vor 30 Jahren stellen. Es braucht Klugheit, Geist und Mündigkeit,
um zu erkennen, dass wir im Frieden leben und dass der Sinn von Politik, wie Hannah Arendt sagte, nach wie vor Freiheit ist. Die, die nach rechts Richtung repressive Autorität marschieren, das sind die Gefährder von Freiheit und Rechtsstaat. Nur Freiheit und Frieden gewährleisten Sicherheit."
Verena Schäffer, innenpolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion NRW: "CDU und FDP nehmen billigend in Kauf, dass sie mit dem Gesetz gegen die Verfassung verstoßen. Innenminister Reul ist deshalb selbst ein Risiko für die Freiheit und für unsere verfassungsrechtlich verbrieften Rechte!"
Das Bündnis, dessen Aufruf mittlerweile über 300 Organisationen unterstützen, hatte sich Ende April gegründet und eine Protestkampagne in etlichen Städten in NRW und Deutschland in Gang gesetzt, allein in NRW sind so geschätzt rund 40.000 Menschen auf die Straße gegangen.

Unterstützer*innen des Bündnisses:
www.no-polizeigesetz-nrw.de/unterstuetzerinnen/

Das Polizeigesetz NRW soll jetzt überarbeitet werden und im September erneut in den Landtag kommen. Zu befürchten ist, dass die Überarbeitung nur juristischen Formulierungen dient, die vor dem Verfassungsgericht besser standhalten.

(Autor Jo Achim Geschke)