Am Gymnasium abgelehnt

Bildungslotterie auf dem Rücken der Kinder (Teil 1)

Von Jo Achim Geschke |

Ich muss draussen bleiben - Photo David-W/photocase

In der vergangenen Woche wurden viele Düsseldorf Eltern darüber informiert, dass die Aufnahme ihres Kindes an dem von ihnen bevorzugten Gymnasium abgelehnt wurde. Für die Eltern, die sowohl an der der Wunsch-Schule als auch an der Ausweichschule keinen Erfolg hatten, dürfte das ein ziemlicher Schock gewesen sein.

Ein Erlebnisbericht von S. Scholz

Die meisten Gymnasien in Düsseldorf, die derzeit noch freie Plätze anbieten, stehen auf der Beliebtheitsskala der Eltern leider eher auf den unteren Rängen.

Gerechterweise darf man jedoch Beliebtheit nicht in jedem Fall mit Qualität gleichsetzen, da oft der Wohnort, das Schulprogramm und viele andere Faktoren bei der ersten Auswahl eine Rolle spielen - manchmal auch der naive Glaube an ein gerechtes System.

Die Anmeldezahlen werden dennoch von vielen Eltern als Indiz verstanden, denn Eltern von angehenden Gymnasiasten recherchieren in der Regel sehr intensiv. Sie besuchen Informationsabende an mehreren Schulen, verfolgen die lokalen Medien, befragen Freunde und werten die Anmeldezahlen der Vorjahre aus, um eine fundierte Entscheidung zu treffen und eine Ablehnung zu vermeiden.

Die Eltern wissen, oft auch aus eigener Erfahrung, die 8 Jahre an der weiterführenden Schule sind in den meisten Fällen entscheidend für den späteren Lebensweg. Man bereitet sich also vor.

Fakt ist, es gibt 2016 geringfügig weniger Anmeldungen an den Gymnasien als 2015 und es gibt mehr freie Plätze durch drei neu geschaffene Gymnasien. Die Stadt versucht damit, die Versäumnisse der vergangenen Jahre so gut wie möglich aufzuholen, und das ist auf den ersten Blick gut so.

Jedoch führt diese Politik auch dazu, dass die Plätze an den besonders beliebten Schulen in diesem Jahr strikt begrenzt werden. Wo im Vorjahr noch fünf Züge möglich waren, sind es dieses Jahr nur vier.

Die Begrenzung erfolgt mit dem aus Sicht der Verwaltung legitimen Ziel, die neuen Schulen ausreichend mit Schülern zu versorgen, um dort überhaupt in Betrieb gehen zu können.

Die Maßnahme steht ungeachtet dessen im direkten Widerspruch zu den Wünschen vieler Eltern und vor allem der Kinder, die am meisten unter der Ablehnung leiden.

Es liegt selbstverständlich auf der Hand, man kann keine Schule beliebig mit Schülern „vollstopfen“. Da gehen die Eltern dann ebenfalls auf die Barrikaden, wie letztes Jahr am Humboldt, als die Planung für einen sechsten Zug bekannt wurde.

Und doch muss man differenzieren, und die Frage stellen, ob die strikte Begrenzung der Plätze auf Kosten der Kinder wirklich in jedem Fall gerechtfertigt und sinnvoll ist.

Nehmen wir einmal die beiden Gymnasien im Stadtteil Gerresheim als Beispiel. Die bisher bekannten Anmeldezahlen dort sehen wie folgt aus:

Gymnasium am Poth: 135 (Vorjahr: 155)

Marie-Curie Gymnasium: 147 (Vorjahr: 126)

Insgesamt liegen dort aktuell 282 Anmeldungen gegenüber 281 im Vorjahr vor.

Trotzdem mussten in diesem Jahr rund 30 Kinder am Marie-Curie Gymnasium abgewiesen werden, 9 davon kamen am Poth unter. Das bedeutet, dass rund 20 Kinder komplett durch das Losverfahren gefallen sind, und weder auf der einen, noch der anderen Schule einen Platz finden konnten.

Es wäre eine eventuell lösbare Herausforderung gewesen, die fehlenden Plätze zu schaffen. Immerhin sind es „nur“ 20 Kinder, die auf zwei Schulen unterkommen müssten, doch die Grenze wurde hart gezogen.

Übrigens, für Eltern von Grundschülern, die noch daran glauben, dass gute Noten Türen öffnen: Der Wohnort und der Notendurchschnitt spielten bei der Auswahl am Marie-Curie Gymnasium und vielen anderen Schulen in diesem Jahr keine Rolle. Die freien Plätze wurden nach der Aufnahme von Geschwisterkindern - verlost.

Seltsam ist für die betroffenen Eltern, neben dem Lotterieverfahren, bei dem auch Schüler mit hervorragenden Noten gnadenlos ausgesiebt werden, dass in dem speziellen Fall in Gerresheim die Stadt lieber 20 Kinder und deren Eltern aus einem gut funktionierenden Umfeld und Freundeskreis drängt, anstatt den beiden Schulen dort mehr Lehrpersonal zuzuweisen und schnellstens eine „echte“ räumliche Erweiterung ins Auge zu fassen.

Die Container, die derzeit am Poth für den Schulbetrieb genutzt werden, sind nämlich auf Dauer auch keine tragbare Lösung. In Gerresheim besteht daher ohnehin Handlungsbedarf, insbesondere im Zusammenhang mit dem extrem großen Zuwachs an Wohnraum im Viertel. Hier ist eine Erweiterung der Kapazitäten an sich unausweichlich.

Was bedeutet aber nun die Ablehnung konkret für die Kinder und deren Eltern und wie geht man damit um?

Auch wenn in jedem Neuanfang vermutlich eine Chance liegt, werden beim Schulwechsel die in der Grundschulzeit gewachsenen und teils innigen Freundschaften erst einmal ziemlich brutal und schmerzhaft auseinandergerissen.

Selbst Unbeteiligte dürften sich unschwer vorstellen können, dass dies für ein 10-jähriges Kind eine schwere emotionale Belastung darstellen kann. Auch der zukünftige Lernerfolg und die Motivation der betroffenen Schüler werden durch einen solchen Einschnitt in vielen Fällen negativ beeinflusst.

In jedem Fall fließen irgendwann Tränen und die Angst vor einer ungewissen Zukunft macht sich breit. Die Kinder müssen daher behutsam auf die neue Situation vorbereitet werden, verkraften das Ganze aber oft sogar besser, als ihre Eltern.

Diese sollten sich daher Ihre Enttäuschung möglichst nicht anmerken lassen, und, auch wenn es erst einmal schwerfällt, gemeinsam mit Ihrem Kind positiv in die Zukunft schauen. Wenn das Kind trotzdem über Lustlosigkeit, Kopf- oder Bauchschmerzen klagt, der Lernerfolg merklich nachlässt und die Frustration über längere Zeit anhält, dann sollten die Eltern offen mit den Lehrkräften sprechen und professionellen Rat suchen, bevor sich die Situation einfährt.

Was in Gerresheim passiert, lässt sich auf andere Schulen und Stadteile übertragen. Kinder und Eltern erleben jetzt erneut, wie auch schon in den Vorjahren, hautnah die Folgen der langjährig sträflich vernachlässigten Schulpolitik in Düsseldorf unter Erwin und Elbers.

Die Ablehnung an einer Schule ist für die Betroffenen keine schöne Erfahrung. Da hilft auch der neue Kö-Bogen oder die großartige Wehrhahnlinie, für die sich alle Beteiligten derzeit sehr medienwirksam auf die Schulter klopfen, nicht über die Enttäuschung und den Ärger hinweg.

Ganz sicher hätten alle Düsseldorfer Eltern mit Kindern im schulpflichtigen Alter viel lieber gesehen, dass Bund, Land und Stadt mehr Geld in die Bildungseinrichtungen investiert hätten, anstatt in Beton gegossene Imageförderung mit unter Umständen zweifelhafter Kosten-Nutzen-Rechnung zu finanzieren.

Das gilt für Kitas, Grund- und weiterführende Schulen gleichermaßen, denn es mangelt bekanntlich an vielen Orten in Düsseldorf an Raum und an qualifiziertem Personal. Bei dem derzeitigen Wachstum der Stadt wird dieses Problem die Eltern in Düsseldorf auch in den nächsten Jahren weiter begleiten, auch wenn die derzeitige Regierung versucht gegenzusteuern und damit Erfolg haben sollte.

Wenn man Pädagogen und Schulleiter zum Thema Ablehnung befragt, so zeigen diese offen ihr ehrliches Mitgefühl, und man merkt deutlich, dass es diesen Menschen sehr nahe geht, was mit den abgelehnten Kindern passiert.

Es wird keine Kritik an den aktuell Verantwortlichen in Politik und Verwaltung geübt, denn die meisten Fehler liegen weit in der Vergangenheit, doch man kann spüren, dass eine tiefe Traurigkeit über die Ungerechtigkeit gegenüber den Kindern und die aktuelle Lage hinter den stets wohlgewählten Worten steht.

Das tröstet zwar, hilft aber konkret erst einmal nicht weiter. Die Eltern müssen sich jetzt schnell entscheiden. Von Montag bis Mittwoch dieser Woche, also vom 22.02.2016 bis 24.02.2016 hat die Stadt eine zweite Anmelderunde für die betroffenen Kinder eingerichtet.

Und auch in der zweiten Runde wird der Mangel nur verwaltet und am Ende nach dem Losverfahren entschieden. Eine uneingeschränkte Empfehlung für das Gymnasium ist in NRW nicht mit einer Aufnahmegarantie an der Wunschschule verbunden.

Übrigens: Die konfessionell gebundene Bekenntnisschulen dürfen ihre Schüler sehr wohl nach dem Leistungsstand auswählen.

Die Aufnahme bekenntnisfremder Schulanfänger darf auch an öffentlichen Konfessionsschulen in staatlicher Trägerschaft abgelehnt werden, wenn Eltern die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht verweigern. Schlechte Karten haben daher auch Agnostiker und Atheisten.

Über Sinn und Unsinn dieser Regelungen lässt sich sicher trefflich streiten. Mehr dazu im zweiten Teil des Artikels, den wir morgen veröffentlichen werden.

Bildungslotterie auf dem Rücken der Kinder (Teil 2)

Abgelehnt. Photo von SirName@photocase.de