Die Koalitionsvereinbarungen in der kritischen Analyse

Die GroKo Papers – eine erste Analyse und Kritik der Koalitionsvereinbarungen

Von Jo Achim Geschke |

Website der SPD Düsseldorf

Um abzuschätzen, welche Zukunftsperspektiven in den Groko Papers liegen, listen wir zunächst mal die drängendsten Probleme der Gesellschaft in den nächsten 10 bis 20 Jahren auf. Als da sind: Digitalisierung und der Verlust von rund 10 Millionen Jobs in den kommenden Jahren. Digitalisierungs-Defizit in der Vernetzung weiter Landstriche und ebenso langsames Internet in Städten. Ein nicht nur drohende, sondern bereits vorhandene Altersarmut, die auch durch Billiglöhne und die geringen Renten von Frauen entsteht. Mieten, die fast unbezahlbar sind, kaum freie Grundstücke zum Bau von Wohnungen in den Städten, und Millionen fehlende Sozialwohnungen. Eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Eine Entdemokratisierung, weil sich immer weniger Menschen mit der Demokratie identifizieren und sich von den großen Parteien abwenden. Ein Bildungssystem, das Kinder schon in der vierten Klasse aussortiert und in dem Kinder aus ärmeren Familien kaum Chancen haben etwa auf Uni oder hochklassifizierte Arbeit.

Und das ist noch nicht alles. Geben also die Groko-Papers Antwort auf die drängendsten Fragen dieser Gesellschaft, die ja zum großen Teil schon in den kommenden Jahren beantwortet werden müssen, für de Lösungen bereit sein müssen. Und für deren Lösung schon jetzt die Weichen gestellt werden müssen.

Vorbemerkung

Es ist dies eine erste Analyse von 179 Seiten. Für eine Diskussion gilt, das jeder das Recht auf eine eigene Meinung hat – aber nicht auf eigene Fakten. Die Inhalte müssen sorgfältig mit Zahlen aus Untersuchungen, Statistiken und Prognosen abgeglichen werden. Das dauert ein wenig, deshalb ist dies ein erster Ansatz einer Analyse und wird sicherlich fortgesetzt.

Zu den Inhalten der Groko-Papers

Von Integration und Flüchtlingen wollen wir mal gar nicht reden, da hat die CSU alles in die Papers reingeschrieben – ob mit dem Grundgesetz vereinbar, ist noch die Frage. Aber Seehofer ist demnächst Innenminister, ein Innenminister, der den ungarischen Nationalisten Orban eingeladen hat. Und die CSU sagt zum Grundgesetz schon mal : passt scho ...

Wohnungsnot und Wohnungsbau

Nehmen wir den Wohnungsbau: Ein Mehrfamilienhaus kostet mindestens 2400 bis 3000 Euro pro m². Macht bei 12 Wohneinheiten von im Schnitt 75 m² Kosten von über 2 Millionen Euro. Und das ist sehr vorsichtig gerechnet. Macht bei 2 Milliarden für den sozialen Wohnungsbau den Gegenwert von etwa 1000 Sozialwohnungen. In Düsseldorf – ähnlich oder teurer sind Wohnungen in München, Hamburg, Stuttgart – brauchen wir etwa 2000 neue Mietwohnungen pro Jahr, um den Bedarf an bezahlbaren Wohnraum annähernd zu decken.

Hier entsteht also gelinde gesagt eine Deckungslücke …

Familienförderung

Und dann die Zuschüsse für Familien mit Kindern für den Bau von Eigenheimen. Familien also und Häuslebau: In Düsseldorf – andere Großstädten sind ähnlich – gab es im Jahr 2013 laut Stadt in 16 % aller Haushalte Familien mit Kind, davon waren fast ein Viertel (22 %) alleinerziehende Mütter. Fakt ist zudem, dass wir in Großstädten wie Düsseldorf kaum noch freie Grundstücke für den Wohnungsbau ausweisen können. Heißt: Wer nach konservativem Muster Flächen mit Eigenheimen für eine oder zwei Familien zubaut, nimmt den Platz für den dringend benötigten Mietwohnungsbau, in dem die Mehrzahl der Menschen wohnt.

Der Drang zum Eigenheim ist aber den Menschen seit langem als erstrebenswertes Ziel vorgegeben. Vor allem von konservativer Seite und von Lobbyverbänden von Versicherungen.

Eine Förderung von Wohneigentum für Familien hilft also nur einem geringen, sehr gut verdienenden Teil der Bevölkerung – und schadet eher dem dringend nötigen Mietwohnungsbau.

Nimmt man für ein preiswertes EF-Haus günstige 350.000 Euro an, so zahlt ein privater Bauherr rund 30 Jahre an seinem Haus ab. Baut er / Sie heute, muss er/ sie aber sicher sein: dass er/ sie in 10 oder in 30 Jahren noch einen guten Job am selben Wohnort hat. Das ist heutzutage wohl nur noch Beamten oder Selbstständigen oder Erben möglich. Nicht berücksichtigt ist dabei die jetzt kommende und teils bereits eingesetzte Veränderung am Arbeitsmarkt. Laut mehreren Experten und Verbänden fallen in den kommenden 20 Jahren bis zu 10 Millionen Arbeitsplätze durch Digitalisierung / Roboterisierung fort.

Ein Kauf von einer Eigentumswohnung ist ein Ausweg – allerdings sind wegen des brachliegenden Baus von Mehrfamilienhäusern und dem Bau teurer Eigentumswohnungen auch da Grenzen für alle jene gesetzt, die nicht wissen, ob sie in 10 oder 20 Jahren noch am gleichen Ort eine ausreichenden Job haben.

Die eher konservativen Förderungen von Eigenheim und Familieneigentum geht also an der Entwicklung der Gesellschaft vorbei.

Altersarmut

Schon jetzt gehen Bilder durch die Medien, die alte Menschen beim Sammeln von Flaschen zeigen, und vor den Tafeln in Düsseldorf und anderen Großstädten bilden sich regelmäßig und wöchentlich lange Schlangen von zunehmend alten Menschen.

Eine leicht höhere „Grundsicherung“ wie vorgeschlagen ist die ehemalige „Sozialhilfe“, daran ändert der beschönigende Name nichts. Gegen Altersarmut, die vor allem Frauen trifft, hilft nur eine massive Förderung, die jetzt einsetzen müsste.

Um Altersarmut zu vermeiden, müsste der Arbeitsmarkt reguliert werden: Mini-Jobs müssen abgeschafft und der Mindestlohn muss erheblich angehoben werden. Die Lohn-Lücke zwischen Frauen und Männern muss schnellstens geschlossen werden.

Befristungen behindern junge Menschen

Es gibt Unternehmen – bei Verdi kann man das nachlesen – die Mitarbeiter_innen nur befristet einstellen, um sie nach Ablauf der Frist in einer andere Tochtergesellschaft bei geringerem Lohn weiter zu beschäftigen. „Sachgrundlose“ Befristungen für Jahre und mehrfach zuzulassen, bedeutet für meist gut ausgebildete jüngere Arbeitnehmer : Planung einer Familie ist nicht möglich, oft sind sogar Mietverträge schwer zu bekommen, die fehlende Zukunftsplanung macht Menschen unsicher und unzufrieden … und lässt sie an der demokratischen Gesellschaft zweifeln. Kurzfristige Befristungen können also nur streng kontrolliert bei Auftragsspitzen etwa in Handwerksbetrieben oder in Mittelständischen Unternehmen Sinn machen. Und müssen streng kontrolliert werden können.

Eine Antwort auf diese Probleme gibt das Groko-Papier nicht.

Digitalisierung und Glasfaserkabel

Das bis 2025 – also in sieben Jahren – ein schnelles Internet kommen soll, geht an der Entwicklung vorbei und kommt zu spät. Bisher haben die zuständigen CDU/ CSU-Minister, unter anderem A. Dobrindt, diese Entwicklung verschlafen. In den meisten ländlichen Bereichen Deutschlands können Unternehmen nicht mal auf eine Internetverbindung bauen, die ihnen eine ähnlich schnelle Verbindung wie in Großstädten bietet. Es gibt Unternehmer, die müssen in die nächste Großstadt fahren, wenn sie eine größere Datenmenge übertragen wollen (zu sehen war das bereits in einem Beitrag im WDR-Fernsehen). Sieben Jahre … das ist in der jetzigen Entwicklung der Digitalisierung schon eine Generation.

Die Antworten auf diese Entwicklung verlangt, nett formuliert, wesentlich mehr Anstrengungen und einen Weg zu schnelleren Lösungen.

Das in den GroKo-Papers jetzt noch eine Erhöhung des Nato Beitrag auf 2 % de BIP veranschlagt wird – den höchsten in Europa – sei mal am Rande bemerkt.

Zum Thema Bildung kommt demnächst eingesonderter Beitrag.

Erneuerung der SPD – ein persönlicher Kommentar

In der jetzigen Diskussion unter Genossen wird oft gesagt: Die SPD hat doch in den Verhandlungen viel erreicht. Als 20 %-Partei kann niemand 100 % erwarten. Das führt in die Irre: In der Analyse von Johanno Strasser (und in Interviews etwa mit Richard David Precht) wird deutlich, wo der Knackpunkt liegt: Wie will eine Partei sich definieren? Muss nicht zuerst definiert werden, wie sich die Partei für welche Ziele stark macht in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft? Muss nicht definiert werden, welchen Zweck die SPD auf lange Sicht verfolgen will, und nicht, welche Mittel jetzt gerade möglich sind? Als Segler gesprochen: Wer sich auf Langstreckenfahrt begibt, sollte seinen Kurs und sein Ziel zuvor klar festlegen und schauen, welche Strömungen es gibt. Sonst geht’s auf die Riffe und Felsen ...

Es ist also die Frage, ob die SPD sich erneuern will, um ais dem 19-%-Tief herauszukommen.

Es sind ja beileibe nicht nur die Jusos die Nein zur GroKo sagen. Der Thüringer Landesverband hat sich bereits klar mit einem Nein positioniert, andere Ortsverbände ebenso.

Die Diskussion um die Groko-Papers wird allerdings etwa verzerrt, wenn nur der Vorstand Mails rumschickt mit der Aufforderung :sagt ja. Und wenn bei den Veranstaltungen zur Koalition nur die Vorstände für ein“Ja“ sprechen und die Gegenargumente dabei nicht auf den Tisch kommen. Dem eloquenten Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert sollte die Partei durchaus Raum einräumen zur Diskussion. Andrea Nahles war ja mal Juso-Vorsitzende, sie müsste eigentlich den jüngeren Genoss_innen Rederecht einräumen.

Eine Erneuerung der SPD ist dringend nötig, damit Deutschland wieder eine klare, deutliche Stimme für mehr soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt bekommt. Damit Menschen wieder Zutrauen zu einer Demokratie bekommt, an der sie sich wirklich beteiligen können.

Eine Personaldebatte, gerade von eher konservativen Medien wie „Welt2, „N-tv“, FAZ, und ähnlichen gehypt, lenkt von den eigentlichen Problemen ab, die nicht in der Zukunft gelöst werden können: Die sind schon jetzt auf dem Tisch und müssen jetzt angepackt werden, damit nicht in Zukunft eine Welle von Veränderungen über uns zusammenbricht.

Eine Erneuerung kann aber nur mit wirklicher Beteiligung und einer solidarischen Diskussion auf Grund von Informationen und Analysen gelingen.

Warum treten denn so viele Menschen in die SPD ein? Weil sie „mitmachen“ wollen, weil sie sich beteiligen wollen. Das Durchschnittsalter der Neueintritte liegt in Düsseldorf bei 47 Jahren – der Durchschnitt ! Wir haben jetzt eine Situation, an die wir kaum geglaubt haben: Menschen – auch viele Jüngere – wollen sich an der Politik beteiligen.

Demokratie und Beteiligung, dazu nur ein Beispiel aus Düsseldorf: Über die Gestaltung der Stadt, über Stadtplanung, können Bürger der Stadt sich jetzt mit eigenen Ideen, Vorschlägen und Anmerkung – auch digital – beteiligen. Und auch bei der künftigen Verkehrsplanung mitreden.

Und eine persönliche Bemerkung: Ich bin im Januar in die SPD eingetreten (keine Aufregung, es gibt eine Menge Journalisten, die Parteimitglieder bei CDU, FDP, Grünen sind). Ich bin nicht eingetreten, um die GroKo zu verhindern, ich sehe hier einen „Aufbruch“ in der Gesellschaft, hin zur Möglichkeit, über Politik an der vielzitierten „Basis“ zu diskutieren und mit zu bestimmen. Und diese Diskussion hat jetzt angefangen, und ist bestimmt noch lange nicht zu Ende.

(Autor Jo Achim Geschke)

Links:

Johanno Strasser in der Frankfurter Rundschau

www.fr.de/kultur/sozialdemokratie-wie-die-erneuerung-der-spd-gelingt-a-1441453

Düsseldorf, "Raumwerk D": Düsseldorfs Zukunft mitgestalten

www.duesseldorf.de/aktuelles/news/detailansicht/newsdetail/raumwerk-d-duesseldorfs-zukunft-mitgestalten-1.html

Koalitionsvertrag CDU, CSU, SPD www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2018.pdf

SPD Website und Titel Groko-Papier Ausrisse