Vor allem die Jusos brachten mit ihren Anträgen die Diskussion in Schwung. Da selbst bei 3 Minuten Redezeitbegrenzung um 16 Uhr erst 19 Anträge zur inhaltlichen und organisatorischen Erneuerung beschlossen waren, wird der Erneuerungsschwung am 14. April erneut aufgenommen.
Am Samstag ging es nicht nur um die organisatorischen Fragen. Das künftig nicht nur die Delegierten der Orstvereine (OV) auf einem Parteitag mitreden dürfen, war ohnehin schon Praxis.
Mit einem der wichtigsten Beschlüsse (mit großer Mehrheit) stellte die SPD klar, dass bisher „Sozialdemokratische Kernwerte“aufgegeben wurden für „einen Platz in der vermeintlichen politischen Mitte“. Nur mit einem erkennbaren Kurswechsel und dem Bruch mit „neoliberaler Politik“ könne sich die SPD wieder als „Sozialstaatspartei“ kenntlich machen. Er habe im Wahlkampf, so Philipp Tacer, immer wieder Klagen über Hartz IV und den Niedriglohnsektor gehört. „Wir brauchen eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik und dürfen nicht den Konservativen hinterher rennen“, so Tacer. Kritik an der neoliberalen „schwarzen Null“, die jetzt auch von Olaf Scholz (SPD) als Finanzminister verteidigt wurde, war mehrfach zu hören.
Konkrete Forderungen
Die SPD müsse den Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung zurück drängen und einen Mindestlohn von 12,50 Euro einführen. Bei der Digitalisierung eine Arbeitsplatzverteilung regeln, ohne dass es zu Lohneinbußen kommt. Die SPD im Bund müsse für die Bürgerversicherung eintreten und gegen die Zweiklassenmedizin angehen. Die Rentenversicherung müsse auf über 50 Prozent des Durchschnittseinkommens gesteigert werden. Der Wohnungsmarkt müsse weg von der Rendite und hin zu einem sozialen Wohnungsbau mit dauerhafter Mietpreisbindung gestaltet werden. Vermögen, hohe Einkommen und große Erbschaften müssten stärker besteuert werden.
Um die Forderungen durchsetzen zu können, brauche es Genoss_innen in Führungspositionen und Mandaten, die sich konsequent für eine „Gemeinwohlorientierung“ , gegen Deregulierung und Verkauf öffentlichen Eigentums einsetzten, heißt es im beschlossenen Antrag.
Diese Forderungen erinnern an das Programm der neuen britischen Labour Party, bei der Jeremy Corbyn die Labourpartei aus dem Keller bis auf über 40 % Zuspruch führte. Und sie entsprechen nach unserer Einschätzung dem, was vor allem neu eingetretene jüngere und auch ältere Mitglieder von einer SPD fordern.
Die 4. industrielle Revolution und die Arbeitsverhältnisse
Unbestreitbar sind wir in Deutschland inmitten einer Veränderung von Arbeitswelt und Gessellschaft durch die technischen Veränderungen, über die ein Antrag als Titel hatte „Die 4. industrielle Revolution gestalten. Welche Berufsbilder und welche Berusfausbildung werde ed in zehn Jahren noch geben? fragte David Miga. SPD-Urgestein Horst Gieseler fehlte dabei der „empathische Aspekt“, man dürfe die Menschen mit ihrenÄngsten nicht allein lassen, sie informieren. Und Parteivorsitzender Andreas Rimkus betonte, die SPD müsse Antworten geben auf die Fragen nach wegfallender Arbeit.
Hartz IV, Digitalisierung und Bedingungsloses Grundeinkommen
Die Herausforderungen einer durch-digitalisierten Arbeitswelt waren auch Kern eines Antrags „Gegenwart und Zukunft der Arbeit“. „Wir müssen auch in zehn Jahren den Menschen noch Antwort geben können, wie sie von selbstbestimmter Arbeit leben können“, so Karl-Heinz Krems. Daher soll nun eine Arbeitsgruppe mit Gruppen aus der Gesellschaft, mit Gewerkschaften und mit allen Interessierten eine Diskussion über Fakten und Einschätzungen des digitalen Wandels führen. Dies soll in eine klare Positionierung im Jahr 2019 – vor den dann anstehenden Wahlen – führen. Themen sind Hartz IV, Digitalisierung und Bedingungsloses Grundeinkommen.
Befristung und prekäre Arbeit
An die Bundespartei geht die eindeutige Aufforderung, sich gegen den Missbrauch von sachgrundlosen und ebenso Befristungen mit Sachgrund einzusetzen. Daher solle der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung beim Arbeitgeber um 1 % gegenüber unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen erhöht werden.
Jusos und „Mitmachpartei“
Nach fast zwei Stunden Debatte ergab sich eine große Mehrheit für einen Antrag der Jusos, wenn auch in einer Kompromiss-Formulierung. Die Jusos wollten Parteitage zu einer Vollversammlung mit Rede- und Stimmrecht aller Mitglieder verändern. Wenn es eine solche Vollversammlung gebe, so Oliver Schreiber, wäre dies eine Stärkung der Ortsvereine, wenn denn alle Aktiven kämen. Die SPD würde so eine lebhafte demokratische Diskussion vorführen.
Vor allem einige Genoss_innen, die als Delegierte gekommen waren, fürchteten aber einen Verlust der Repräsentativität bei einer Art Vollversammlung.
Walburga Benninghaus, ehemals Landtagsabgeordnete, betonte dagegen: „In den Ortsvereinen haben die Mitglieder Interesse an inhaltlichen Diskussionen … Mit bestimmen und mit reden ist doch Grundlage für unsere Erneuerung.“ Hildegard Düsing-Krems sprach etlichen aus dem Herzen: „Ich war noch nie so Juso wie in den letzten Monaten“, spielte sie auf die NoGroko-Debatte an. „Füllen wir dich die Worte „Mehr Demokratie wagen!“
Karl-Heinz Krems machte allerdings klar: Schon in Arbeitsgemeinschaften und Ortsvereinen arbeiten wir mit „Mehr Demokratie“ quasi in einer Vollversammlung.
Nach langer Diskussion wurde mit Zweidrittelmehrheit ein Kompromiss gefunden, den Karl-Heinz Krems vorschlug: Ein Parteitag kann als Mitgliederversammlung stattfinden, stimmberechtigt mit Rederecht sind dann alle anwesenden SPD-Mitglieder.
Bei allem stürmischen Vorwärts der Jusos, welches durchaus Sympathien bei älteren Genoss_innen und Mandatsträgern fand, sollte bei den unter 35-jährigen doch das eine oder andere bedacht werden: Im Handwerk etwa wird die Erfahrung von Älteren als unverzichtbar geschätzt. Auch in der Politik ist zuweilen die Erfahrung – auch die Lebenserfahrung – von Älteren von Vorteil. Und im Bundestag und seinen komplizierten Entscheidungsprozesses innerhalb und außerhalb der Parteien reichen zwei Legislaturperioden wohl kaum aus, um sich als Abgeordnete durchzusetzen und Gewicht auch in der Fraktion zu erlangen. Eine Trennung von Amt und Mandat kann sinnvoll sein. Ebenso eine Doppelspitze aus Frau und Mann in der Partei. Eine Beschränkung auf wenige Legislaturperioden ist aber in Landes- und Bundesparlamenten wohl eher hinderlich.
(Autor Jo Achim Geschke)