Offener Brief von Wissenschaftler:innen und Intellektuellen in Deutschland an die Bundesregierung

Die Zeit der mahnenden Worte ist vorbei: Stoppen Sie die Gewalt im Iran!

In Düsseldorf schwenkten die Demonstranten zahlreiche iranische Flaggen und Schilder mit Slogans wie "women, life, freedom" oder "They kill us in your silence #mahsaamini" / Foto: Privat

In Düsseldorf schwenkten die Demonstranten zahlreiche iranische Flaggen und Schilder mit Slogans wie "women, life, freedom" oder "They kill us in your silence #mahsaamini" / Foto: Privat

Wissenschaftler:innen und Intellektuelle haben am 08. Nov. 2022 einen offenen Brief zu den landesweiten Protesten und der Revolution im Iran, an die Bundesregierung verfasst und konkrete Aktionen gefordert

Die Proteste im Iran unter dem Motto Zan Zendigi Azadi/ Frau Leben Freiheit finden seit Wochen landesweit statt, in Groß- und Kleinstädten, in Dörfern und im Internet, über alle ethnischen und religiösen Gruppen und Bevölkerungsschichten hinweg. Sie werden getragen von Frauen und Jugendlichen sowie der Solidarität von Männern; unter dem Mut und Einsatz des Lebens. Die Antworten des Regimes werden immer blutiger.

 

unser Artikel vom 30. Oktober: Im Gedenken an Mahsa Asmini zeigen in Düsseldorf 3000 Menschen ihre Solidarität mit den Demonstranten im Iran.

    Das iranische Regime hat zehntausende Demonstrierende und Unterstützende verhaftet und vergangene Woche mit 227 von 290 Stimmen im Parlament für die Bestrafung der Inhaftierten mit der Todesstrafe plädiert. Es drohen Massenexekutionen für 14.000 Menschen. Doch der Widerstand der Bevölkerung reißt nicht ab. Basare schließen in Solidarität mit Protesten, Arbeiter:innen streiken, Sportler:innen und Künstler:innen solidarisieren sich öffentlich. Die Protestierenden riskieren ihr Leben bei dieser Revolution für ein selbstbestimmtes Leben.

    Die Ereignisse im Iran überschlagen sich und drohen durch die Unterstützung Irans für den russischen Krieg in der Ukraine zu einem Flächenbrand zu werden.

    Aufgrund der Dringlichkeit, möchten wir als Wissenschaftler:innen und Intellektuelle in Deutschland einen offenen Brief an die Bundesregierung überreichen. Die Lage im Iran ist kein regionaler Konflikt in einer fernen Welt, er setzt sich auch über Migration und Diaspora in der Lebensrealität vieler hier lebenden Iraner:innen und ihnen solidarisch verbundenen Menschen aus Deutschland und anderen Ländern der Welt fort.

    Diese Revolution betrifft uns alle.

    "Wir fordern daher - nach dem Bundestagsbeschluss dieser Woche und der Positionierung der Außenministerin Baerbock zur Setzung der Sepahe Pasdaran auf die internationale Terrorliste und den daraufhin einsetzenden Drohungen des iranischen Außenministers Hussein Amirabdollahian gegen die deutsche Politik, sowie nach der Rede des Bundeskanzlers am Samstag, den 12.11.2022, der die Verbrechendes Regimes im Iran hart kritisiert und fordert, Iran vor der UN zur Rechenschaft zu ziehen und im Vorfeld weiterer geplanter EU-Sanktionen am Montag, den 14.11.2022 - dass diesen politischen Positionierungen erweiterte, konkrete und entschiedene Umsetzungen der Kritik am iranischen Regime folgen!

    Zusätzlich zu dem am 09.11.2022 von der Regierungskoalition im Bundestag beschlossenem Antrag zum Einfrieren von Konten und zum Einreise-Stopp für iranische Regierungsangehörige und deren Familien, gibt es weitere Forderungen im Offenen Brief der Wissenschaftler:innen und Intellektuellen. Wir fordern eine Erklärung der Bundesregierung, dass die Legitimität der iranischen Regierung nicht mehr besteht; die sofortigen Freilassung aller politischen Gefangenen und Demonstrierenden; Schulen und Universitäten, müssen unter den Schutz internationaler Beobachter gestellt werden; es braucht eine gezielte Sanktionspolitik, die nicht mehr wie in den vergangenen Jahrzehnten, die Zivilbevölkerung in Iran trifft, die Verhandlungen zum Nuklearabkommen mit dem Iran müssen gestoppt werden, denn das Regime ist kein legitimer Verhandlungspartner mehr.

    Zentral ist für uns: Die Zusammenarbeit mit dem Regime und mit Lobbyist:innen des iranischen Regimes muss beendet werden. Es braucht stattdessen dringend eine breite Aufnahme von Gesprächen mit Vertreter:innen der neuen Bewegungen: Die Revolutionsbewegung ist vielfältig. Solange es keine konkrete neue Regierung gibt, müssen Gespräche über das Ausland und Internet geführt werden, um den pluralen Stimmen der iranischen Revolution Gehör zu schaffen, bis sie sich sortiert haben. Der Zugang der Menschen im Iran zum Internet und zur freien Informationsbeschaffung muss daher unbedingt gesichert und technisch unterstützt werden.

    Prof. Dr. Naika Foroutan, Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin; Prof. Dr. Paul Mecheril, Universität Bielefeld, Prof. Dr. Claus Melter, FH Bielefeld; Farah Melter, Autorin/ Pädagogin; Prof. Dr. Benjamin Ortmeyer, ehemaliger Leiter Forschungsstelle NS-Pädagogik/ Universität Frankfurt; Malika Mansouri, Ass. jur., Rassismusforscherin und Menschenrechtsaktivistin;

       

      Offener Brief von Wissenschaftler:innen und Intellektuellen in Deutschland an die Bundesregierung:

      13. November 2022

      Die Zeit der mahnenden Worte ist vorbei: Stoppen Sie die Gewalt im Iran!

      Beenden Sie jede Kooperation mit dem iranischen Regime!

      Mehr als 14.000 Menschen wurden im Zuge der aktuellen Proteste im Iran festgenommen. Menschenrechtsorganisationen haben mehr als 300 getötete Demonstrant:innen registriert – darunter befinden sich laut Amnesty International mindestens 30 Kinder und Minderjährige. Ermordet werden sowohl Demonstrierende als auch Passant:innen auf der Straße.

      Es werden willkürlich Menschen inhaftiert, misshandelt und im Schnellverfahren rechtswidrige Gerichtsverfahren und Verurteilungen durchgeführt. Ärztliche Grundversorgung für Verletzte wird unterbunden, Folter und Vergewaltigungen in den Gefängnissen werden gezielt zur Einschüchterung eingesetzt.

      Es drohen Massenexekutionen für Tausende Protestierende und Unterstützer:innen.

      Weder der Staatsapparat, noch das Militär und die Milizen interessieren sich für mahnende Worte aus dem Ausland.

      Hören Sie auf, die iranischen Behörden, die für Festnahmen, Anklagen und Todesurteile verantwortlich sind, als legitime Verhandlungspartner anzuerkennen!

      An den Universitäten im Iran werden Proteste von Studierenden mit Gewalt unterdrückt. Dozent:innen werden in ihrer Lehre kontrolliert und unterdrückt. Schulen und Universitäten werden gestürmt und Studierende und Schüler:innen abgeführt und zu Tode geschlagen. Die Freiheit akademischer Forschung und Lehre ist nicht gewährleistet.

      Wir fordern als Wissenschaftler:innen und Intellektuelle gemeinsam mit solidarischen Initiativen der Zivilgesellschaft 1 eine andere Außenpolitik und eine deutliche Unterstützung der Protestierenden in Iran und eine Androhung von Interventionen, gegen die Gewalt des Regimes.

      Wir fordern eine Aberkennung der Legitimität und das Ende der Kooperation mit dem iranischen Regime!

      Wir fordern nachdrücklich eine feministische Außenpolitik, die die Lage der Frauen und Kinder und auch Männer im Iran ins Zentrum der außenpolitischen Staatsraison setzt und dabei hilft, den Terror des Regimes im Iran gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen und die Fortführung des illegitimen Regimes zu beenden!

      1Vgl. Bundestagspetition von Hawar Help: www.hawar.help/de/bundestags-petition/

        10 Forderungen an die Bundesregierung. Es braucht konkret und sofort:

        1. Es ist Zeit für eine Erklärung der Bundesregierung, dass die Legitimität der iranischen Regierung aufgrund der brutalen Morde, willkürlichen Verhaftungen und Androhung von Massenexekutionen, für die deutsche Regierung nicht mehr besteht.
        2. Es braucht eine klare Forderung der sofortigen Freilassung aller politischen Gefangenen und Demonstrierenden.
        3. Schulen und Universitäten, in denen gezielt Kinder, Jugendliche und junge Menschen angegriffen, bedroht und getötet werden, müssen unter den Schutz internationaler Beobachter gestellt werden.
        4. Es braucht einen Einsatzplan dafür, dass die iranischen Täter und Befehlshaber von Morden, Folter und Vergewaltigung im Rahmen von internationalen Gerichtsverfahren zur Rechenschaft gezogen werden
        5. Es braucht eine Beendigung der politischen Zusammenarbeit mit Lobbyist:innen des iranischen Regimes und eine breite Aufnahme von Gesprächen mit neuen Bewegungen und pluralen Stimmen der iranischen Revolution.
        6. Es braucht eine gezielte Sanktionspolitik, die nicht mehr wie in den vergangenen Jahrzehnten, die Zivilbevölkerung in Iran trifft und die Angehörigen des Regimes zu Multimillionären werden lässt, deren Vermögen geschützt im Ausland liegt
        7. Der Sanktionsdruck muss auf die Regimemitglieder und ihre Angehörigen ausgeweitet werden: Es braucht eine Beschlagnahmung aller Konten von Angehörigen der iranischen Regierung, ihrer Mitarbeiter u Familienmitglieder, sowie ein Verbot der Einreise für Angehörige der iranischen Regierung und ihrer Familienmitglieder nach Deutschland
        8. Es braucht einen sofortigen Stop der Verhandlungen zum Nuklearabkommen mit dem Iran. Das Regime ist kein legitimer Verhandlungspartner
        9. Die Sepahe Pasdaran müssen auf die internationale Liste terroristischer Organisationen gesetzt werden, da sie Verbrechen gegen die Bevölkerung verüben und national, sowie international Terror finanzieren
        10. Der Zugang der Menschen im Iran zum Internet und zur freien Informationsbeschaffung muss gesichert werden – mit technischer Unterstützung aus dem Ausland für VPN-Strukturen sowie notwendiger Hard- und Software.